Rezension

Zeitlos, grandios, erschütternd

Aus guter Familie. Leidensgeschichte eines Mädchens -

Aus guter Familie. Leidensgeschichte eines Mädchens
von Gabriele Reuter

Bewertet mit 5 Sternen

Endlich, endlich, endlich habe ich diesen Roman gelesen, der seit Nicole Seiferts Empfehlung in „Frauenliteratur“ auf meiner Wunschliste stand – und ich wurde nicht enttäuscht. Dank der Neuauflage des Reclam Verlags konnte ich nun in Agathes Leben eintauchen. Mein Fazit: Ich bin restlos begeistert! Was für ein toller, mitreißender, tiefgründiger, zur Diskussion anregender Roman!

Gabriele Reuters „Aus guter Familie“ erzählt die Geschichte der jungen Agathe, die in der Enge der bürgerlichen Gesellschaft um 1900 aufwächst. Es handelt sich dabei um einen ganz ungewöhnlichen Entwicklungsroman, denn Agatha wird von außen beständig an ihrer Entwicklung gehindert. Der Roman schildert dabei eindrucksvoll ihre innere Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Zwängen und den Erwartungen an Frauen ihrer Zeit. Agathes Entwicklung und ihr Schicksal werden so lebendig dargestellt, dass man tief in ihre Welt eintaucht und einerseits mit Agathe leidet und hofft, andererseits durch ihr Schicksal und das anderer geschilderter Frauenfiguren immer wieder wütend wird. Auch Reuters Schreibstil beinhaltet für mich schon alles, was die Moderne um 1900 so anziehend macht. Wie kann es sein, dass eine solch kraftvolle und bedeutende Stimme der Literaturgeschichte bisher so wenig Beachtung gefunden hat? Ich kann kaum nachvollziehen, warum ich im Studium der Literaturwissenschaft nicht von der Autorin gehört habe, auch in Material zu Literatur um 1900 kommt sie nicht vor.

Diese liebevoll gestaltete Neuauflage des Reclam Verlags kommt aber nicht nur inhaltlich, sondern auch äußerlich wunderbar daher. „Aus guter Familie“ wird definitiv einen Ehrenplatz bei mir finden. Insgesamt ist dieser Roman ein Muss für alle Literaturfans. Er fordert heraus, regt zur Diskussion an und bleibt lange im Gedächtnis. Gabriele Reuter verdient es, aus der Vergessenheit hervorgeholt und neu entdeckt zu werden. Ich kann „Aus guter Familie“ nur wärmstens empfehlen.