Rezension

Zeitreise aus dem Süd-Korea der Zukunft in unsere Gegenwart

Knochensuppe (Band 2) -

Knochensuppe (Band 2)
von Kim Young-tak

Bewertet mit 3.5 Sternen

Der Süd-Koreaner Lee Uhwan war durch ein Loch im Meeresboden 40 Jahre in die Vergangenheit  gereist, um das Rezept für die echte Rinderknochenbrühe zu beschaffen und in seine Gegenwart zurückzubringen. Außerhalb der fast familiären Beziehung Uhwans zu seinem Chef und dessen jugendlichem Sohn Sunhee brauen sich im Busan der Vergangenheit jedoch politische Verwicklungen und mafiöse Strukturen zusammen. Bereits im ersten Band der Duologie konnte ich mich gehörig gruseln beim Gedanken an verschwundene Menschen und an riesige eiserne Suppentöpfen, in denen geduldig  gerührt wird.

Seit Lee Uhwan auf der Rückreise den Tod seiner Mitpassagiere verursacht hat, sitzt ihm ein Killer aus der Zukunft im Nacken. Inzwischen ist der pflichtbewusste Ermittler Changgeun dubiosen Vorgängen um falsche Identitäten und Vergabe von Wohnungen im Umfeld des Immobilien-Hais Park Jongdae auf der Spur. Ein Altfall einer Schießerei an einer Schule (aus dem ersten Band) scheint noch immer nicht aufgeklärt zu sein. Das in Süd-Korea angesagte Thema Schönheitsoperationen wird von Youngtak Kim auf die Spitze getrieben mit einer Gesellschaft, in der man sich durch ein völlig neues Gesicht und Entfernen der Fingerabdrücke eine neue Identität schaffen kann.  Durch das Verfahren sind unterschiedliche Modelle einer Figur denkbar,  die einander gegenübertreten könnten,  aber auch Menschen, die ihre Identität einbüßen, ohne eine neue zu erhalten. Man stelle sich Ermittler Changgeun vor, dem ein Verdächtigen ganz ohne Fingerabdrücke gegenübersteht!  Mit dem Wissen, dass das Geschehen von heute beeinflusst, wer in einigen Jahren reich und mächtig sein wird, wirken die Ereignisse um Lee Uhwan, Park Jongdae und Changgeun etwas weniger grotesk.

Am Schnittpunkt von Zeitreise-Technologie, Politik, Immobilienspekulation und Lee Uhwans privater Suche nach Zugehörigkeit wird deutlich, dass letztlich nicht technische Möglichkeiten die Zukunft von Kims Figuren bestimmen, sondern deren persönliche Stärken und Schwächen. Die höchst suspekte Immobilienspekulation lässt sich als Sozialkritik lesen an einem System, in dem jeder morgen selbst einem knallharten Verdrängungsprozess ausgesetzt sein könnte. Alt verliert gegen Jung, Einwohner gegen Zuwanderer, Einzelner gegen Interessengruppe.

Die Fortsetzung der Knochensuppen-Geschichte wirkt durch den Einsatz grotesker Technologien weit düsterer als der erste Teil. Insgesamt erlebte ich die männerlastige Welt außerhalb der familiären Einheit Lee Uhwan/Lee Sunghe/Lee Jongin/Kanghee als unnahbar. Die Zeitreisetechnik als Gewerbezweig konnte mich amüsieren, die zeitliche Einordnung des Geschehens fiel mir nicht immer leicht. Insgesamt setzt der Autor mit schnellen Schnitten eher filmische Mittel ein, so dass die Figuren des zweiten Bandes für mich wenig Konturen zeigten. Ein Personenverzeichnis wäre auch in diesem Band hilfreich.