Rezension

Zeitreiseregeln

Das Zeitreisehaus -

Das Zeitreisehaus
von Marie Wollatz

Bewertet mit 3 Sternen

Also die Idee hat mir gefallen. Eine ganze Familie zusammen auf Zeitreise gehen zu lassen (statt Urlaub, sozusagen), finde ich sehr charmant. Wobei „charmant“ vielleicht das falsche Wort ist angesichts der Entscheidung der Familie, für das erste Abenteuer das Jahr 1965 zu wählen, zumal wir uns somit mitten in der Deutschen Demokratischen Republik befinden und jemand, der sich nicht mit schlafwandlerischer Geschichts-Sicherheit durch das östliche Deutschland bewegt, es ziemlich schnell mit der Stasi zu tun bekommen kann. Ich wäre ja lieber ins 19. Jahrhundert gereist, um Goethe oder Anna Amalia oder vielleicht gar Franz Liszt zu begegenen ... aber vielleicht kommt da ja noch was in den Nachfolgebänden. 

Das erste, was mir gefällt, sind die Zeitreise-Regeln. Einzig ein bisschen unlogisch: wenn man nicht mit der Maschine in die Zukunft reisen kann und in die Vergangenheit nur bis zum Entstehungstag der Zeitmaschine, wohin ist dann der Erfinder gereist?

Wenn wir schon mal beim Erbsenzählen sind: dass die arme angepasste und ihrem Gatten unterwürfig ergebene Frau Tempus bei Anblick des Zeitreise-Tagebuches erstmal in Ohnmacht fällt, fand ich schon etwas übertrieben. Wir leben doch nicht mehr im Zeitalter der Wespentaillen und Riechfläschchen.

Und an Frau Tempus Stelle wäre ich nicht erst dann entsetzt gewesen, als ihr Mann ihr eröffnete, dass er den Umzug der Familie nach Weimar beschlossen hatte, sondern bereits, als er den denkwürdigen Satz formulierte „Meine Eltern sind jüngst verstorben und sie haben mir das Haus in Weimar vererbt.“ - Gruselig. Dass sie noch nicht einmal nachgefragt hat, warum die beiden gleichzeitig und ob sie an oder mit Corona verstorben sind oder vielleicht doch an einer zeitgleich injizierten experimentellen Substanz ... Entschuldigt meinen Zynismus, aber selbst wenn mein Mann mit seinen Eltern „wegen irgendwelcher Dinge zerstritten“ ist, kriege ich es doch als Ehefrau zumindest mit, wenn dieselben im Sterben liegen. Oder? ODER? (Ich bin ja keine .. und habe auch keinen ... aber ich dachte, so läuft das. Klärt mich auf! ...) Diese Familie möchte ich eigentlich gar nicht näher kennenlernen. Und muss es doch. Schließlich bin ich noch mitten im Lesemarathon ...

Und dann wäre da noch Hannes, der Zwillingsbruder von Henry, die eigentlich Henriette heißt. Das ist nun nicht gerade etwas Neues, hatten wir bei Enid Blyton auch schon. Aber das Hobby vom Hannes, das hat es in sich! Fährt mit seiner „Skateboardgang“ durch die Supermärkte und stellt die Bilder von den zerdepperten Sachen ins Netz, als wär‘s ein ganz normales Hobby, Jungs eben, ... 

WOMIT HAT WEIMAR DAS VERDIENT?

Hannes und seine Schwester Henry dürfen dann einen Tag mit in die DDR-Schule, wo Henry das Liedersingen als Gehirnwäsche empfindet. Dabei ist sie selber schon leicht „gewaschen“, wie sich bald herausstellen soll: „[...]das ist doch genau die Generation, die jahrelang mit unseren Ressourcen verschwenderisch umgegangen ist!“ Und der Vater wäscht munter mit: „Der DDR ging es [beim Altstoffsammeln] nicht um einen Umweltgedanken. Die Menschen handelten aus der Not heraus [...]“ Aha. 

Dass Hannes geschockt dreinschaut, weil das Handy, das er nicht mitnehmen darf, in der Vergangenheit sowieso keinen Empfang hätte, war mein erster wirklich guter Lacher. 

Es gefällt mir wirklich, dass in dieser Geschichte die ganze Familie auf Zeitreise geht. Auch die Regel, dass man in diesem Haus Zeitreisende aus der Zukunft gastfreundlich aufnehmen soll, finde ich klasse. 

Insgesamt empfand ich aber die Erzählweise als etwas unbedarft (und auch nicht immer sauber lektoriert), aber die Idee ist auf jeden Fall schön. Man hätte allerdings mehr daraus machen können.