Rezension

Zu viel belehrt, zu wenig gezeigt

Raum ohne Fenster - Nather Henafe Alali

Raum ohne Fenster
von Nather Henafe Alali

Bewertet mit 3 Sternen

Die Heimat verlassen ist wie Sterben, darum wollte Salim niemals flüchten. Doch als er von der Straße weg zum Militärdienst gepresst und wegen Befehlsverweigerung inhaftiert und gefoltert wird, stellt sich die Sache für ihn anders dar. Salims Freunde sind nach und nach ums Leben gekommen. Er lebt mit seiner schwangeren Frau Hayat, einem Kleinkind und seinem alten Freund Aziz in den Ruinen einer umkämpften Stadt. Außer dem Militär scheinen die drei Erwachsenen und das Kind zu Beginn des Romans die einzigen Menschen zu sein. Die Unterdrückung und Kontrolle durch eine Diktatur spricht den Bürgern das Menschsein ab, Demonstranten fordern es in diesem Land inzwischen zurück. In den Ruinen ihrer Heimatstadt entwickelten die Freunde kluge Gedanken, wie es zum Konflikt gekommen war. Menschen unterliegen dem Irrtum, dass sie in einer Diktatur im Tausch gegen Gehorsam ihr Leben retten können, stellen die Freunde fest.

Aziz und Hayat haben im Gegensatz zu Salim bereits an Flucht gedacht. Hayat will ihr zweites Kind in Sicherheit zur Welt bringen. Sie wünscht sich einfach ein normales Leben, in dem sie auch mal andere Frauen treffen kann. Nach einem Saringas-Angriff werden Salim und Aziz voneinander getrennt, Aziz muss den bewusstlosen Salim in der bombardierten Ambulanz zurücklassen. Nach der Geburt von Hayats zweitem Sohn müssen ein bis zwei Jahre vergangen sein; denn inzwischen schmiedet sie Fluchtpläne für sich und zwei temperamentvolle Kleinkinder. Da sie keine Geburtsurkunden für die Jungen hat, muss sie zunächst Papiere beschaffen. Ihr Verwandter Rami hilft ihr bei der Organisation der Flucht über das Mittelmeer. Rami macht selbst Geschäfte mit Flüchtlingen – daher stammen seine Kenntnisse und seine Verbindungen. Parallel zu Hayat flieht auch Aziz gemeinsam mit dem Soldaten Alaas über das Mittelmeer. Wichtig fand ich die Darstellung, dass zur Finanzierung einer Flucht mithilfe von Schleppern oft Haus und Hof verkauft wird oder hohe Schulden gemacht werden. Aus der Sicht der aufnehmenden Länder wird das leicht einmal verdrängt.

Ungefähr das erste Drittel des Romans schildert bewegend ein Leben im Untergrund einer umkämpften Stadt, schon das eine Form von Flucht. Nachdem Aziz und Hayat sich zur Flucht über das Mittelmeer entschlossen hatten, verloren sie als Figuren für mich erheblich an Glaubwürdigkeit. Im aus dem Arabischen übersetzten Text stellt Nather Henafe Alanli zu viel fest und zeigt mir zu wenig aus der Sicht seiner Figuren. Aziz muss mitten während seiner hochdramatischen Flucht dem Autor als Sprachrohr dienen für in dem Moment unrealistische Analysen der Fluchtproblematik. Lesern, die zum Roman eines selbst betroffenen Autors greifen, werden diese Zusammenhänge inzwischen bekannt sein. Auch mit Stil und Wortwahl hatte ich Probleme; Tyrannei und Schicksal z. B. sind für mein Sprachgefühl ungenaue Begriffe, die verschleiern statt zu beschreiben. Als Roman konnte mich der Text nicht überzeugen.