Rezension

"Zuhause ist wo deine Toten liegen."

Steinland - Bernhard Jaumann

Steinland
von Bernhard Jaumann

Bewertet mit 5 Sternen

Wenn hundertfünfzig Kilometer von Windhoek entfernt auf einer Farm nachts gewildert oder gestohlen wird, ist nicht zu erwarten, dass deshalb die Polizei ausrückt. Die Polizei ist nicht besonders gut angesehen in Namibia - sie kommt gar nicht, ermittel laienhaft oder lässt Verdächtige bald wieder laufen. Als Clemencia Garises und ihre Kollegen von der Serious Crime Unit vormittags auf der Farm Steinland eintreffen, ist nach einer nächtlichen Auseinandersetzung um einen Diebstahl Farmer Rodenstein tot, sein Sohn nach Aussage Elsa Rodensteins und der Nachbarn von drei Schwarzen entführt worden. Clemencia, die ihr ganzes Leben im Windhoeker Stadtteil Katutura verbracht hat, findet zu den weißen Farmern nur schwer einen Draht. Die Zeugenaussagen zu den Ereignissen dieser Vollmondnacht erscheinen Clemencia sonderbar. Die Ermittlerin hat in Südafrika studiert und ein Praktikum bei der finnischen Polizei absolviert. Sie kennt effektive Ermittlungsarbeit, doch die alltäglichen Schlampereien im Staatsdienst Namibias türmen ständig neue Hindernisse vor ihr auf. Noch nicht einmal eine DNA-Probe kann Clemencia ohne Probleme untersuchen lassen - das ist nur in Südafrika möglich - umständlich und kostspielig. Clemencia - jung, qualifiziert, schwarz - hat die gläserne Decke über sich als Bremse ihrer Polizeilaufbahn bereits deutlich zu spüren bekommen. Der Fall Rodenstein entpuppt sich für sie komplizierter als gedacht; denn der alte Farmer sollte im Zuge der Landreform von der regierenden SWAPO gezwungen werden, sein Land zu verkaufen. Dass auf der Farm Steinland schwarze Farmer einmal ihren Lebensunterhalt verdienen werden, glaubt niemand. Wer sich an dem günstig zur Hauptstadt gelegenen Farmgelände wohl bereichern möchte? Clemencia steht unter Druck; sie befürchtet, dass ihr nichtsnutziger Bruder Melvin an der Tat beteiligt war. Sie muss Täter und Hintermänner möglichst schnell dingfest machen - oder wegen Befangenheit die Ermittlungen abgeben.

Bernhard Jaumann hat wieder äußerst sorgfältig recherchert und versteht es, seinen Lesern die Eigenheiten der verschiedenen Nationalitäten zu vermitteln, die in Namibia zusammen leben. Jaumanns zweiter Namibia-Roman fordert Aufmerksamkeit für Zwischentöne und Nebensätze, um beispielsweise aus dem Mund von Clemencias weißem Kollegen Robinson zu erfahren, was er von der Affirmative-Action-Politik der schwarzen Regierung hält. Die stürmische Beziehung zwischen der schwarzen Ermittlerin und ihrem deutschstämmigen Liebhaber Claus Tiedtke, Redakteur der Allgemeinen Zeitung, konzentriert die harten Kontraste der namibischen Gesellschaft wie in einem Brennglas. In kursiv gesetzten Einschüben rollt der Autor die Geschichte der Farm und die der Familie Rodenstein auf. So bekommt man als Leser gleich zu Beginn der Handlung das Land und den besonderen Menschenschlag deutschstämmiger Farmer nahegebracht, der sich - unbeirrt von politischen Umwälzungen und wirtschaftlichen Rückschlägen - im namibischen Hochland seit Generationen der Viehzucht verschrieben hat. Während "Die Stunde des Schakals" für einen Krimi ungewöhnlich tief den politischen und historischen Hintergrund der Ereignisse beleuchtete, punktet der Nachfolgeband mit der psychologisch glaubwürdigen Charakterisierung der Figuren. Steinland fand ich deshalb spannender als den ersten Band um Clemencia Garises, die Figuren interessanter.

Textauszug
"Der Wind kam aus Nordosten. Er bog die Spitzen der paar dürren Gräser, die noch aufrecht standen, und trieb Schleier feinen roten Staubs vor sich her. Aus dem Schatten eines Hakkie-Busches bewegte sich langsam ein Chamäleon hervor, verharrte dann im Schritt, als wäre unvermittelt die Zeit angehalten worden. Es war ein Namaqua-Chamäleon, das sich vor kurzen gehäutet hatte. Noch hingen Fetzen des gesprengten alten Schuppenkleids über der frisch glänzenden bräunlichen Haut. ... Der Kopf war massig und wurde fast bis zum Halsansatz von einer dünnen Linie durchzogen, die verriet, wo sich das Maul öffnen würde, wenn es galt, einen Käfer oder eine kleine Eidechse zu verschlingen." (S. 270/271)