Rezension

Zuviel Häme

Pompeji oder Die fünf Reden des Jowna -

Pompeji oder Die fünf Reden des Jowna
von Eugen Ruge

Bewertet mit 3 Sternen

Ruges neuer Roman verarbeitet einen bekannten Stoff. In seinem Pompeji, 17 Jahre nach dem großen Erdbeben, hält ein sizilianischer Wissenschaftler einen Vortrag, dessen Fazit lautet: Pompeji liegt auf einem Vulkan, der höchstwahrscheinlich bald ausbrechen wird.

Anwesend bei diesem Vortrag ist der talentlose Jowna, alias Josse. Er ist nur ein Jahr lang zur Schule gegangen und hat seine Zeit seither mit „heroischem Nichtstun“ verbracht. Josse meldet sich zu Wort mit der Ansicht, dass, wenn der Berg sich nicht bewegen lässt, sich die Stadt bewegen muss - die erste der titelgebenden 5 Reden. Durch diese Äußerung erlangt Jowna unerwartete Popularität, die er zu nutzen weiß. Er setzt sich an die Spitze einer Aussteigergruppierung, die 20 Meilen entfernt an der Küste eine neue Stadt gründen will. Aber dann wird die Frau des Oberhaupts auf ihn aufmerksam – und Jownas Engagement zur Rettung der Stadt ist ihm nun eher hinderlich. Denn die schöne Livia ist Bauunternehmerin und investiert in Immobilien. Ein aufgegebenes Pompeji ist nicht in ihrem Interesse.

Ruges Roman über die Stadt, die in Feuer und Asche unterging, ist kein historischer Roman, auch wenn viele gut recherchierte Details ein farbiges Bild der antiken Gemeinde ergeben. Pompeji ist eine Politsatire mit unübersehbaren Bezügen zur klimabedrohten Gegenwart. Alle sind da: Die Hippies, die einen Strand und Dope wollen, die Verschwörungstheoretiker, für die das Gerede über den Vulkan Fake News sind, die Prepper, die Heimatfreaks, die Neoliberalen und die Sozis, die beim Gang durch die Institutionen aufweichen.

Ruge winkt nicht mit dem Zaunpfahl, er schwenkt gleich den ganzen Zaun. Das tut er mit viel Sprachwitz - man merkt bei der Lektüre, dass der Autor eine Menge Spaß hatte bei der Darstellung all dieser hohlen Zeitgenossen. Die einzige Aufrechte des ganzen Romans ist Josses Mutter, aber sie ist lediglich eine unwichtige Nebenfigur. Alle anderen Figuren des Romans sind so lächerlich und/oder verachtenswert in ihrer Unbelehrbarkeit und ihrem Vorrang für kurzfristige Ziele, dass man das Geschehen zwar amüsiert, aber auch distanziert verfolgt. Keine wächst einem genug ans Herz, um auf ihre Rettung zu hoffen. Stattdessen geht auf der Seite des allwissenden Erzählers jede Menge „Häme und Bösartigkeit“ auf sie nieder.  Mir hat das, vor allem zum Ende hin, zunehmend Unbehagen bereitet. Soll die Leserschaft sich in diesen Idioten wiedererkennen? Das dürfte schwerlich funktionieren.   

Am Ende schafft es Josse, der Schulabbrecher, „getragen von stillem Größenwahn und einer schamlosen Bereitschaft, sich durch die Welt zu lügen“, bis an die Spitze der pompejanischen Gesellschaft. Blöd nur, dass im Moment des Triumphes seine Welt untergeht. 

Immerhin haben es offenbar 18 000 der 20 000 Bewohner Pompejis geschafft, rechtzeitig zu flüchten. So ganz verblendet können sie nicht gewesen sein. Aber das interessiert Ruge nicht; es geht ihm nicht darum, eine Geschichte zu erzählen. Die Story ist lediglich eine Folie für die Gegenwart und bleibt blutlos. (Das Feuilleton hat den Roman gar als Schlüsselroman über die Grünen erkannt.)

Sei´s drum. „Schreiben ist und war schon immer die Rache der Machtlosen.“ Bei aller sprachlichen Brillanz und so unterhaltsam der Roman sich liest - uneingeschränkt empfehlen kann ich ihn nicht.