Rezension

Zwei Schwestern und der Krieg

The Nightingale - Kristin Hannah

The Nightingale
von Kristin Hannah

Bewertet mit 4 Sternen

Die beiden Schwestern Vianne und Isabelle stehen sich nicht besonders nah, zu unterschiedlich sind sie vom Charakter her. Doch als Frankreich im Zweiten Weltkrieg von den Deutschen besetzt wird, findet jede ihren Weg zum Widerstand und zum Überleben finden.

Viannes Mann zieht in den Krieg und Hauptmann Beck quartiert sich in ihrem Haus ein. Vianne erlebt fortan all die zunehmenden Schrecken der Besatzung, angefangen mit Nahrungsmittelknappheit bis hin zur Deportation der jüdischen Bevölkerung. Für Vianne ist es eine tägliche Gratwanderung zwischen Lügen und Wahrheit.

Die impulsive Isabelle schließt sich nach der Flucht aus Paris dem Widerstand, der Resistance, an. Zunächst verteilt sie nur heimlich Flugblätter, später eskortiert sie unter dem Decknamen „Nachtigall“ gestrandete Piloten der Alliierten über die Pyrenäen bis nach Spanien. Je länger der Krieg dauert, desto dünner wird die Luft für Vianne und Isabelle...

 

Kristin Hannah schildert eindringlich, wie es gewesen sein muss im besetzten Frankreich. Vor allem die Darstellung der Situation zwischen Vianne und Beck, die wie ein ständiger Eiertanz anmutet, ist ihr meiner Meinung nach gelungen. Vianne versucht, ihre Tochter zu beschützen, doch jede Entscheidung, die sie treffen muss, wird unmöglicher. Dieses Dilemma wurde gut geschildert. Viannes Charakter entwickelt sich im Laufe der Handlung meiner Meinung nach mehr als Isabelles. So ist Vianne anfangs eher naiv und verrät ihre kommunistischen und jüdischen Lehrerkollegen an die Deutschen, während sie danach immer abgebrühter und misstrauischer wird.

Isabelle sucht geradezu zwanghaft die Anerkennung des Vaters, ist impulsiv, mutig und ein wenig arrogant. Ohne über die Folgen nachzudenken, schließt sie sich der Resistance an. Ihre Furchtlosigkeit ist zwar bewundernswert, aber macht sie das zu einer größeren Heldin als Vianne? Das muss der Leser entscheiden.

 

In kurzen Zwischenkapiteln erzählt eine der beiden Schwestern rückblickend aus dem Jahr 1995. Welche der beiden es ist, wird erst kurz vor Schluss enthüllt. Das gefiel mir sehr gut.

 

Negativ an Kristin Hannahs Erzählung waren für mich die häufig vorkommenden Wiederholungen. Beispiel: Es reicht ein-bis zweimal zu sagen, dass all das gute Essen, Fleisch, etc. an die Deutschen ging, nicht fünfmal.

Auch wird sehr oft betont, wie die beiden Schwestern sich kleiden, als ob die Autorin ein Klischee über die „modischen Franzosen“ bedienen wollte. Es war Krieg, da war es egal, was für eine Bluse oder einen Rock eine Person trug!

Manchmal hatte ich unterschwellig den Eindruck, dass die Autorin eine Liste mit Elementen abarbeiten wollte. Zum Beispiel lässt sie Isabelle das Zusammentreiben der Juden im Pariser

Vélodrome d'Hiver beobachten, geht aber später nie mehr darauf ein. Vielleicht sollte es das Gesamtbild der Nazi-Gräueltaten vervollständigen, auf mich wirkte es eher wie ein Abhaken von Punkten. Wen dieser Aspekt interessiert, dem kann ich den Roman „Sarahs Schlüssel“ empfehlen, in dem man diese Ereignisse hautnah miterlebt.

 

Die Liebesgeschichte zwischen Gaëtan und Isabelle war manchmal etwas zu aufgesetzt und auch nicht unbedingt nötig gewesen, insgesamt war es aber okay.

 

Positiv möchte ich noch erwähnen, dass mit Hauptmann Beck auch wenigstens ein deutscher Soldat mit Skrupeln und einem Gewissen in der Handlung auftaucht, wenn er auch letztendlich der Mitläufer bleibt.

 

Die Erkenntnis, dass die Frauen den Widerstand getragen haben, aber kaum als Kriegshelden geehrt werden, hat mir ebenfalls gut gefallen.

 

Insgesamt empfand ich „The Nightingale“ als ein lohnenswertes und phasenweise fesselndes Buch über den Zweiten Weltkrieg. Es hatte kleine Schwächen und sicherlich waren auch nicht alle Details korrekt, konnte mich aber gut unterhalten. Für einige Leser hat das Buch sicherlich Taschentuchpotenzial, man sollte nicht mit einer romantischen Happy End-Erwartung an das Buch herangehen.