Rezension

Zwischen Komödie und Drama...

Die englische Scheidung -

Die englische Scheidung
von Margaret Kennedy

Bewertet mit 4 Sternen

Gesellschaftsportrait der gehobenen Mittelschicht Englands in den 30er Jahren - glaubhafte Charakterzeichnung zwischen Komödie und Drama...

»Alec und ich gehen getrennte Wege. Wir lassen uns scheiden.« Nicht dass zwischen den Müttern von Betsy und Alec Canning je ein gutes Wort gefallen wäre, doch als Betsys Brief eintrifft, sind sie sich sofort einig: Die Scheidung muss um jeden Preis verhindert werden! Weder Betsys Geständnis, in der Ehe unglücklich zu sein, noch Alecs Seitensprünge ändern daran auch nur das Geringste. Ist das letzte Wort möglicherweise noch nicht gesprochen? Alec hofft, seine Frau umzustimmen, wenn er an sich arbeitet, und vielleicht bedenkt Betsy ja die Folgen einer Trennung für ihre drei Kinder. Doch die Mütter und all die anderen, die auf einmal unbedingt mitreden wollen – Hausangestellte, Nachbarn, Freunde –, machen das letzte bisschen Hoffnung auf eine Versöhnung zwischen den Eheleuten zunichte. Betsy und Alec sind den Rosenkrieg bald leid, aber da ist so mancher Fehler schon nicht mehr rückgängig zu machen… (Verlagsbeschreibung)

In England in den 1930er Jahren des vorherigen Jahrhunderts spielt dieser Roman (erschienen erstmals 1936), und er betrachtet die Geschehnisse innerhalb der Familie Canning. Die Eltern Betsy und Alec haben sich auseinandergelebt, und doch ist Alec überrascht von dem Vorschlag seiner Ehefrau, sich scheiden zu lassen. Diese Absicht tut Betsy auch in einem Brief an ihre Mutter kund, und von da an nehmen die Ereignisse ihren Lauf. Betsys Mutter, die die Trennung unbedingt verhindern will, nimmt Kontakt zu Alecs Mutter auf, die, von Natur aus dominant und überaus überzeugt von ihrer eigenen Person, gleich zu den Cannings fährt, um in ihrer wenig subtilen Art dafür zu sorgen, dass es nicht zu einer Scheidung kommt. Doch dieses Vorhaben läuft dann letztlich unter dem Motto "verschlimmbessern", und obschon Betsy zwischenzeitlich ein wenig ins Grübeln kam, ob eine Trennung wirklich der richtige Schritt ist, lässt sich die Scheidung nun gar nicht mehr verhindern. Was in aller Ruhe vonstatten gehen sollte, endet in einem Rosenkrieg, und alles verändert sich.

Leidtragende sind dabei auch die drei Kinder, Kenneth, Eliza und Nesthäkchen Daphne. Durch die entstehenden Gerüchte und das allgegenwärtige Gerede von Bekannten und Verwandten über die Eltern sehen sich die Jugendlichen Kenneth und Eliza zudem gezwungen, sich für ein Elternteil zu entscheiden. Dadurch gerät auch das Verhältnis unter den Geschwistern in eine gehörige Schieflage. Während Eliza sich bemüht, in ihrem Umfeld für Ordnung und Struktur zu sorgen und die Zügel in der Hand zu behalten, wendet sich Kenneth von der Familie ab und gerät in schlechte Gesellschaft, aus der er sich nicht mehr zu befreien vermag. 

Der Aufbau des Romans gleicht der Methode des szenischen Schreibens (Margaret Kennedy schrieb u.a. auch für das Theater). In den einzelnen Szenen wird jeweils ein bestimmter Ausschnitt der Ereignisse beleuchtet, wobei jede Szene wechselnd aus der Perspektive eines der beteiligten Charaktere geschildert wird und damit jede:r seinen Auftritt hat. In der ersten Hälfte des Romans liegen die Szenen inhaltlich und zeitlich dichter aneinander, was eher wie aus einem Guss wirkt. In der zweiten Hälfte dagegen gibt es größere Zeitsprünge, und auch räumlich sind die Figuren, die zu Beginn alle in einem Haus wohnen, nun getrennt - und alles entwickelt sich auseinander. Im Grunde entspricht das ja auch der Entwicklung im realen Leben, nur dass das "Geschmeidige" im Lesefluss hier etwas fehlt und Brüche entstehen.

Der Autorin gelingt es, sowohl die Sitten und Gebräuche der damaligen Zeit einzufangen (und damit ein glaubhaftes Gesellschaftsportrait der gehobenen Mittelschicht Englands zu liefern) als auch die Gefühlslage der betroffenen Personen zu verdeutlichen und dabei alle Altersguppen gleich treffend zu charakterisieren . Das wirkte auf mich alles sehr authentisch.

Meiner Meinung nach zeigt der Roman einmal mehr, dass es sich lohnt, vergangene und womöglich oftmals schon in Vergessenheit geratene Autor:innen wieder ans Tageslicht zu zerren und ihre Bücher neu aufzulegen. Der Sprachstil wirkt keineswegs altmodisch, und auch wenn eine Scheidung damals sicher noch durch die gesellschaftliche Wirkung verstärkt ein einschneidendes Erlebnis war, so stellt dies auch heute noch oftmals eine Krise im Leben der Beteiligten dar. Vieles ist im Kontext der damaligen Zeit zu sehen, die Gefühle und Gedanken der handelnden Personen jedoch weisen auch allgemeingültige Aspekte auf. Die offenkundige Gesellschaftskritik, die Ironie sowie der immer wieder aufblitzende Humor haben mir gut gefallen, ebenso wie die eingestreuten lebensklugen Sätze, die stets treffend und keineswegs aufgesetzt wirken. 

Ein ungewöhnlich aufgebauter, stilistisch ansprechender Roman, ohne überbordenede Spannung, aber durch die Allgemeingültigkeit vieler Aspekte auch heute noch aktuell. Ein Stück gehobener tragikomischer Unterhaltungsliteratur, durchaus empfehlenswert.

 

© Parden