Rezension

Zwischen mitteleuropäischer und mediterraner Identität

Triest für Fortgeschrittene -

Triest für Fortgeschrittene
von Georges Desrues

Bewertet mit 5 Sternen

Ist jetzt Triest die südlichste Stadt des Nordens oder die nördlichste des Südens? Wenn die stürmische Bora von Norden die Stadt in Eiseskälte erstarren lässt, dann ist Triest eine Stadt des Nordens. Zeit, um in eines der vielen Buffets zu flüchten, zu einer warmen Jota, dieser nahrhaften Suppe aus Sauerkraut, Bohnen, Kartoffeln und Geselchtem. Richtig gelesen, Sauerkraut gehört in jeden Triester Wurstkessel, wem nach Pasta ist, der muss seine Destination schnell ändern.

Triest Geschichte und ihr gesamtes Wesen ist wie die Küche geprägt nicht nur von der Zerrissenheit zwischen Norden und Süden, zwischen mitteleuropäischer und mediterraner Identität, sondern auch zwischen Osten und Westen, an deren politischer Grenze man hier jahrzehntelang lag, mit starken Einflüssen aus dem Balkan einerseits und aus dem nahen Venedig andererseits. Mal abgesehen von der jahrhundertlangen Herrschaft der Habsburger, die Triest zum wichtigsten Hafen des Mittelmeerraum für die österreichisch-ungarische Marine machte, war die Stadt Zentrum des italienischen Irredentismus und mit der Machtübernahme der Faschisten unter Mussolini verlor Triest seine Autonomie und wurde italianisiert; Kroaten und Slowenen wurden vertrieben. Nach dem zweiten Weltkrieg verlor Italien die Gebiete von Istrien und Teile von Dalmatien. 300.00 Menschen verließen ihre ehemalige Heimat und ließen sich in Triest nieder. Wie sich die Geschichte umdrehte. Nicht alle Flüchtlinge wurden freundlich aufgenommen. (Die deutschen Flüchtlinge aus Ostpreußen können ebenfalls ein Lied davon singen.)
Seither bemüht sich Triest eine italienische Stadt zu sein und ist stolz auf ihre ausgegrabenen „römischen“ Wurzeln. Nun profitiert Triest auch von der ewigen Rivalin Venedig, das einzelne Kreuzfahrtschiffe „durchlässt.“

Triest, die Stadt des Kaffees. Die Türken hätten 1683 einige Säcke Kaffee vor den Toren Wiens zurückgelassen und das soll die Geburtsstunde des Wiener Kaffeehauses gewesen sein und damit wurde Triest der wichtigste Umschlagplatz für Kaffee: Cittá del Caffè mit der weltweit bekannten Rösterei Illy. Aber nicht wie bleichgesichtige Nordländer „un caffé“ bestellen, sondern in Triest heißt es „un capo in b“ oder „caffé latte.“

Wem es im Sommer in der Stadt zu heiß ist, dem empfehlen die Autoren eine Fahrt mit der „Blauen Tram“ (wenn sie denn wieder fährt), dem geheimen Wahrzeichen von Triest hinauf auf den Karst nach Opicina, auf 350 Höhenmeter über Triest, dann in eine der Buschenschanken auf dem Karstplateau mit dem phantastischen Ausblick auf die Stadt und den Golf von Triest. Der Habsburger-Kaiser Josef II. hatte im Jahr 1784 seine berühmte „Zirkularverordnung“erlassen, die es den Weinbauern erlaubte, ihren Wein an bestimmten Tagen im Jahr direkt zu verkaufen und auszuschenken. Ursprung für die lokale Variante des Heurigen bzw. der Buschenschank/Osmice/Osmize. Auf der anderen Seite der Grenze in Slowenien, damals in Jugoslawien mit seinem sozialistischen Wirtschaftssystem, war kein Platz für Privatinitiativen. Zu verkosten sind Wein, harte Eier, Proschutto und Salumi. Zentrum des Weinbaus am Karst ist Prepotto, den die Triester auch das „Saint Émilion“ des Karsts nennen. Es ist in Friaul-Julisch Venetien eine der führenden Weißweinregionen Italiens. Die Besonderheit ist der „Orange Wein“, ein mazerierter Weißwein.

Architektonisch ist Triest eine wahre Fundgrube, die sich dem „Fortgeschrittenen“ in vielen „Spaziergängen“ durch die Stadt erschließt. Vom Alten Hafen zum Neuen Hafen, vorbei an den zahlreichen Badeanstalten, rund um die „Sacchetta“ und durch den Bezirk SanVito; bis zum heutigen Triest mit seinen „brualistischen“ Wohnmaschinen.
Ein Muss ist der Besuch des Museo Revoltella.

Georges Desrues und Erich Bernard geben mit ihrem einzigartigen Triest-Portrait einer großartigen Stadt Impressionen von deren unbekannten Seiten.