Rezension

Zwischen Schein und Sein

Die Gesichter der Wahrheit - Donal Ryan

Die Gesichter der Wahrheit
von Donal Ryan

Bewertet mit 4 Sternen

Der Autor Donal Ryan, geboren 1976 in Nenagh, im Süden Irlands wurde 2012 für diesen Roman (Originaltitel „The Spinning Heart“) mit dem Irish Book Award und dem Guardian First Book Award ausgezeichnet und erzählt in dem Buch auf ungewöhnliche Weise von den Menschen, die in einem kleinen Städchen in Irland wohnen. Im Strudel der irischen Finanzkrise hat sich Pokey Burke, vormals Chef der örtlichen Baufirma, die für Arbeit und Wohlstand sorgte, aus dem Staub gemacht, und die Menschen seiner Heimatstadt mit unbezahlten Gehältern, unfertigen Häusern und ohne soziale Absicherung im Stich gelassen. Als die Gewalt auflodert, ist jeder gefangen zwischen dem, was er nach außen vorgibt zu sein, und dem, was er sich in seinem Innersten wünscht.

In 21 Kapiteln schildern immer wieder andere Ich-Erzähler ihre Sicht der Dinge und lassen den Leser dabei in ihre Köpfe schauen. Die Personen kennen einander oder sind auf die ein oder andere Weise miteinander verbunden. Sie erzählen mitunter von Existenz- und Beziehungssorgen, von Mord und Kindesentführung und der Leser erlebt vermeintlich gleiche Situationen aus unterschiedlichen Perspektiven. Immer erhält man dabei auch Einblick in die persönlichen Geschichten und Schicksale der einzelnen Personen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Der Leser schlüpft beispielsweise in die Rolle des Kindergartenkindes, eines hartgesottenen Bauarbeiters bis hin zu einer lesbischen Tochter.

So facettenreich die Personen sind, so unterschiedlich ist auch ihre Ausdrucksweise, die nicht gerade von sprachlicher Schönheit glänzt, die Charaktere jedoch sehr authentisch wirken lässt. Mit jedem inneren Monolog wird Unsicherheit und Verwirrung deutlich. Nebenbei entsteht immer auch eine neue Sichtweise auf die beteiligten Personen. So setzt sich nach und nach zum Ende des Buches ein Gesamtbild zusammen, das nur der Leser überblicken kann, da er als einziger alle Details kennt.

Trotz teilweise amüsanter Formulierungen handelt es sich hierbei um ein bedrückendes aber auch berührendes Buch, das einem durch die vielen ‚Gesichter der Wahrheit‘ den Unterschied zwischen Schein und Sein immer wieder aufzeigt, die Personen jedoch wie in einer Tretmühle gefangen hält.