Buch

Das Sicherheitsdispositiv der Resilienz - Andreas Folkers

Das Sicherheitsdispositiv der Resilienz

von Andreas Folkers

Vorwort Sicherheit wird immer mehr zur zentralen Wertvorstellung westlicher Gesellschaften. Darin mag man ein Zeichen dafür sehen, dass wir in Zeiten politischer Resignation leben. Gewerkschaften und linke Parteien kämpfen nicht mehr gegen Ausbeutung und für die Aneignung der Produktionsmittel, sondern gegen Prekarisierung und für sichere Renten. Die Solidarität mit revolutionären Befreiungsbewegungen in Ländern des globalen Südens ist der Angst vor islamistischem Terrorismus gewichen. Die Beschwörung einer "Revolte der Natur" (Horkheimer 1967, 63-92) ist dem Eintreten für Klimaschutz zur Erhaltung des "safe operating space for humanity" (Rockström et al. 2009) gewichen. Wo die Aussicht auf globale Gerechtigkeit in weite Ferne gerückt ist, erscheint lediglich die humanitäre Forderung nach Sicherheit und Schutz für Geflüchtete halbwegs realistisch. Wenn sich die Glaubensgänger_innen des Christentums damit abgefunden haben, dass die Erlösung in ein fernes Jenseits abgeschoben wurde, weil sich die fürsorgliche caritas zumindest der ärgsten irdischen Nöte annimmt, so scheinen wir uns damit arrangiert zu haben, auf allzu jenseitige Werte wie Freiheit und Gerechtigkeit zu verzichten, solange man uns nur mit ausreichend politischen, rechtlichen und ökonomischen Sicherungen versieht. Selbst die Kritik an den Auswüchsen der Sicherheit in Form staatlicher und privatwirtschaftlicher Überwachung kommt meist als Einklagung und Verteidigung der Datensicherheit oder des Schutzes der Privatsphäre, also ihrerseits als Ruf nach Sicherheit daher. Das Begehren nach Sicherheit, so scheint es, macht einen bestenfalls zur Merkelwählerin, schlimmstenfalls zum "besorgten Bürger". Es liegt deshalb aus kritischer sozialwissenschaftlicher Perspektive nahe, Sicherheit als Zielvorstellung per se abzulehnen, um wieder einen genuin politischen Möglichkeitshorizont zu eröffnen (Neocleous 2008). Es soll wieder um Demokratie und Gleichheit gehen und nicht nur um die Sicherung des Lebens. Dieses Buch setzt allerdings einen anderen Akzent. Es versucht nicht, das Politische gegen das Streben nach Sicherheit auszuspielen, sondern will vielmehr die Politik der Sicherheit selbst beleuchten und zeigen, was bei dieser Politik auf dem Spiel steht. Sicherheit ist nicht nur eine Ablenkungsstrategie von Regierenden, nicht nur ein Trostpreis für politisch Resignierte, sondern fundamentaler Anspruch eines Lebens, dessen grundlegende Eigenschaft darin liegt, verwundbar und deshalb schutzbedürftig zu sein (Butler 2004). Wer das nicht wahrhaben will und stattdessen auf hochtrabenden politischen Programmatiken beharrt, reproduziert damit nur eine fatale Vorstellung politischer Subjektivität, die vollkommen bedürfnislos und autonom die politische Sphäre betritt, und lässt zudem die Ansprüche und Motivlagen faktisch handelnder politischer Subjekte außer Acht. Aber gerade weil Sicherheit ein so grundlegendes Bedürfnis des prekären Lebens ist, ist sie auch gefährlich. Das Verlangen nach Sicherheit lässt sich nämlich auf vielfältige Weise missbrauchen und ausbeuten. Nicht selten gehen Sicherheitsmaßnahmen deswegen mit neuen Formen sozialer Kontrolle und maßloser politischer Macht einher. Dieses Buch untersucht diese Ambivalenz der Sicherheit zwischen sozialer Kontrolle und lebenswichtigem Anspruch am Fall der Sicherheitsmaßnahmen gegen katastrophische Risiken. Nirgendwo sonst wird die Verwundbarkeit des Lebens so sichtbar wie etwa nach Naturkatastrophen, die einer Vielzahl von Menschen auf einen Schlag ihr Leben, ihre Gesundheit oder ihre mühsam errichtete Lebensgrundlage nehmen. Nichts nutzt die Verwundbarkeit der Bevölkerung so schamlos und brutal aus wie Terroranschläge. Und nichts lässt sich so gut von Politiker_innen nutzen wie ebendiese Anschläge, um ihren Rufen nach immer neuen Verschärfungen von Sicherheitsgesetzen Gehör zu verschaffen. Das Buch beschäftigt sich aber nicht nur mit diesen offensichtlichen Fällen des Katastrophischen, die regelmäßig viel Medienaufmerksamkeit auf sich ziehen und politische Debatten generieren. Es konzentriert sich zudem auf eine tiefe Schicht von Sicherungsmaßnahmen, die nicht nur gegen äußere Gefahren schützen, sondern das Leben, wie wir es kennen, überhaupt erst ermöglichen. Unter dem Überbegriff der "Biopolitik vitaler Systeme" beleuchtet das Buch eine Reihe von uns mittlerweile so selbstverständlich gewordenen Formen der Versorgungssicherheit und der technischen Sicherung wie fließendes Wasser, Strom- und Gesundheitsversorgung etc., die uns zumeist überhaupt erst dann ins Bewusstsein treten, wenn sie - ausgelöst durch externe katastrophische Ereignisse oder interne systemische Risiken - gestört oder nicht mehr verfügbar sind. Und weil in diesen Momenten offensichtlich wird, wie abhängig Gesellschaften von den vielfältigen lebenserhaltenden Systemen geworden sind, ist der Systemzusammenbruch in jüngerer Zeit zur zentralen Figur des Katastrophischen aufgestiegen. Katastrophische Risiken wie Terroranschläge und Naturgefahren ebenso wie systemische Risiken wie der Ausfall lebenswichtiger Infrastrukturen oder der Zusammenbruch des Finanzmarktes stellen das politische Versprechen der Sicherheit dabei immer wieder in Frage. Der in den letzten Jahren verstärkte Bezug auf das Konzept der Resilienz reagiert auf diese Verunsicherung und begleitet das zum Mantra gewordene Eingeständnis, dass es "keine hundertprozentige Sicherheit" gibt. Resilienz ist ein verändertes Leitbild der Sicherheit, bei dem weniger die vollkommene Abwesenheit von Gefahren angestrebt wird, sondern der erfolgreiche Umgang mit Risiken im Vordergrund steht. Auch dieses Leitbild der Sicherheit ist ambivalent, weil es einerseits reflexiven Abstand von überzogenen Ansprüchen und fatalen Paradoxien der Sicherheit nimmt, andererseits aber auch droht, die Abweisung von Schutzansprüchen der verwundbarsten Teile der Bevölkerung vorzubereiten.

Dieses Buch ist in den vergangenen sowohl persönlich wie politisch durchaus unsicheren Zeiten entstanden. Dass es schließlich doch in den sicheren Hafen dieser Publikation eingefahren ist, habe ich einer Reihe von Personen und Institutionen zu verdanken. Zuerst möchte ich der Studienstiftung des deutschen Volkes für die finanzielle und ideelle Förderung des Promotionsprojekts sowie meines Auslandsaufenthaltes in New York danken. Ebenso möchte ich der Deutschen Forschungsgemeinschaft danken, die diese Veröffentlichung mit einer großzügigen Publikationsbeihilfe unterstützt hat. Meinen nunmehr ehemaligen Mitbewohnern Bernhard, Boris, David und Flo danke ich für den nicht minder wichtigen häuslichen support. Flo Maak danke ich besonders dafür, dass er eine Fotografie seiner Serie "danger" als Titelbild für dieses Buch zur Verfügung gestellt hat. Isabell Trommer vom Campus-Verlag danke ich für ihre geduldige und aufmerksame Betreuung der Veröffentlichung. Ich danke natürlich meinem Betreuer Thomas Lemke für die Betreuung des Projekts. Ebenso danke ich Peter Wehling, der mich als Zweitgutachter substantiell beraten und mit seinen kritischen Kommentaren wesentlich zur Schärfung der Argumentation der Arbeit beigetragen hat. Dem Drittgutachter Sven Opitz danke ich dafür, dass er mich stets als Wissenschaftler auf Augenhöhe ernstgenommen und gefördert hat. Ich danke meinen Kolleg_innen vom Arbeitsbereich in Frankfurt für die vielen produktiven Diskussionen der vergangenen Jahre: Sarah Dionisius, Torsten Heinemann, Katharina Hoppe, Ulrike Manz, Tino Plümecke, Malaika Rödel, Jonas Rüppel und Susanne Schultz. Besonders bedanken möchte ich mich bei Renate Uhrig, die mir aus dem Sekretariat immer wieder dabei geholfen hat, den Alltag in der Uni zu meistern. Neben dem Arbeitsbereich haben besonders die STS discussion group, die Abteilung Wissen, Technik, Umwelt und meine Mitstreiter_innen der Graduiertenkonferenzen "Emerging Forms of Sociality" und "Critical Matter" dazu beigetragen, dass ich in Frankfurt so viele spannende Diskussionen führen konnte, die auf die eine oder andere Weise Niederschlag in der Arbeit gefunden haben. Als ich angefangen habe diese Dissertation zu schreiben, war das Institut für Vergleichende Irrelevanz noch im Kettenhofweg be(un)heimatet. Das ivi hat mir immer das Gefühl gegeben, dass meine Arbeit auch jenseits der Akademie eine Bedeutung hat. Das gilt auch für meine Tätigkeit in der Redaktion des diskus, wo ich erste Überlegungen zur Regierung der Katastrophe veröffentlicht und mit den Genoss_innen der Redaktion debattiert habe. Ich hoffe, dem kritischen Ethos dieser fabelhaften Frankfurter Subkultur, der vom vollkommen unzeitgemäßen Glauben lebt, dass sich denkend die Welt wenn schon nicht verbessern, so doch zumindest besser ertragen lässt, in meiner Arbeit zumindest ein Stück weit gerecht geworden zu sein. Etwas von diesem Ethos habe ich auch bei vielen meiner Studierenden wiedergefunden. Ich habe in unseren Seminaren viel von ihnen gelernt und bin ihnen dafür sehr dankbar. In der frühen Phase der Bewerbung um Förderung für das Projekt hatte ich das Glück, hilfreiche Hinweise von Urs Stäheli und Jörg Strübing als Gutachter der Studienstiftung, von Ilona Ostner als Vertrauensdozentin der Heinrich-Böll-Stiftung sowie von Andreas Reckwitz vom Graduiertenkolleg "Lebensformen und Lebenswissen" zu erhalten. Besonderer Dank gilt Stephen Collier, der so großzügig war mich als visiting scholar an die New School University einzuladen, ohne dass ich zum damaligen Zeitpunkt nennenswerte wissenschaftliche credentials hätte vorweisen können. In zahllosen Diskussionen in Frankfurt und New York habe ich mit ihm über sachliche Aspekte der Arbeit, methodische Zugänge und kritische Perspektiven diskutieren können. Während meines Aufenthalts in New York haben zudem Gespräche mit Nicholas Langlitz, Onur Ozgöde, Timothy Mitchell, Antina von Schnitzler und Ann Stoler für viele Impulse und Inspirationen gesorgt, von denen die Arbeit entscheidend profitiert hat. Beim PhD-Workshop "Foucault, Governmentality, Biopolitics - Analytical strategies for critique of power" an der Copenhagen Business School konnte ich mit den Leitern Jeffrey Bussolini, Mitchell Dean, Thomas Dumm, Marius Gudmand-Høye und Kaspar Villadsen sowie mit den anderen PhD-Kandidat_innen über ihre Promotionsprojekte und mein eigenes Projekt diskutieren und dabei wichtige Ideen für die Arbeit entwickeln. Außer meinen Betreuern haben folgende Personen Teile der Arbeit gelesen und kommentiert: Endre Dányi, Torsten Heinemann, Katharina Hoppe, Martina Kolanoski, Il-Tschung Lim, Peter Lindner, Sven Opitz, Julian Stenmanns und Matthias Thiemann. Sie haben mich durch ihre intensive und kritische Lektüre vor Fehlern bewahrt, zu Klarstellungen und zur Schärfung der Argumentation gezwungen, mich aber auch in entscheidenden Punkten ermutigt und bestärkt. Das gesamte Manuskript hat Nadine Marquardt gelesen, kommentiert, korrigiert und kritisiert. Ihr gilt mein größter Dank - wenn sich das denn skalieren ließe. Kein Gedanke dieser Arbeit, der nicht ihr kluges Ohr und waches Urteil passiert hat. Danke für die Sorge und Sorgfalt um die Arbeit und ihren Autor. Meinen Eltern Gernot und Sabine Folkers danke ich dafür, das gesamte Manuskript Korrektur gelesen zu haben.

Gewidmet ist die Arbeit Sabine, die um den Wert der Sicherheit weiß, sich aber nie ihren Mut, ihren Verstand und ihre Herzlichkeit hat nehmen lassen, und Gernot, dem ich nicht erklären muss, dass Politik, Natur und Technik zusammengehören.

Einleitung Eine Vielzahl humanitärer, ökologischer, sozialer und ökonomischer Krisen und Katastrophen hat das noch junge 21. Jahrhundert heimgesucht. Der 11. September 2001 eröffnete eine Serie verheerender Terroranschläge in allen Teilen der Welt. Die globalen Finanzkrisen seit 2007, die ursprünglich von den US-amerikanischen Immobilienmärkten ausgegangen waren, haben wesentlich zur längst noch nicht überwundenen Staatsschuldenkrise in der Eurozone beigetragen. Die Explosion der BP-Ölplattform deepwater horizon im Jahr 2010 und die darauffolgende Ölpest im Golf von Mexico ist eine der schwersten Umweltkatastrophen der Geschichte. Ein Jahr später, im März 2011, hat die Dreifachkatstrophe aus Erdbeben, Tsunami und GAU im Atomkraftwerk von Fukushima auf fatale Weise die Verwundbarkeit sozio-technischer Strukturen gegenüber Naturereignissen unterstrichen. Die Ebola-Epidemie im Jahr 2014 in Westafrika hat gezeigt, wie intensivierter Personenverkehr und schlechte Gesundheitsinfrastrukturen zu einer bedrohlich-schnellen Ausbreitung von tödlichen ansteckenden Krankheiten beitragen können. In den letzten fünfzehn Jahren haben sich in allen Teilen der Welt und nicht zuletzt in Deutschland derartig viele als "Jahrhundertereignisse" klassifizierte Hochwasser- und Flutkatastrophen ereignet, dass sich immer stärker der Verdacht aufdrängt, dass wir es hier bereits mit den Auswirkungen des Klimawandels, der ultimativen planetarischen Katastrophe, zu tun haben. Mit geradezu imperativer Gewalt haben diese und andere Katastrophen und Krisenereignisse das politische Handeln bestimmt. Regierungen sind von immer neuen Krisenfällen bisweilen buchstäblich überschwemmt worden, so dass sie aus den Gehäusen ihrer bürokratischen Routinen heraustreten mussten. Szenarien über mögliche, teilweise weit entfernte katastrophische Zukünfte bestimmten immer häufiger politische Entscheidungen in der Gegenwart. Gleichzeitig forderten tatsächlich eintretende Ereignisse eine augenblickliche, unmittelbare Reaktion. Langfristige Planung weicht hier kurzfristigem Krisenmanagement, das in nicht enden wollenden Krisen wiederum zum Dauermodus der Politik zu werden scheint. Über die Zeit haben sich jedoch Handlungsmuster und Strategien der Krisenpolitik herauskristallisiert, in denen mehr gesehen werden muss als blinde Reaktionen auf immer neue Unglücksereignisse. Die Krisen der Routine haben zum Entstehen neuer Routinen der Krise geführt. Die Regierung von Katastrophen hat sich als Politikstil und Tätigkeitsfeld mit eigenen Rationalitäten, Interventionsmustern und Legitimationsstrategien herausgebildet. Es reicht daher nicht, das Regieren der Krise lediglich als Abweichung von einer Normalversion politischen Handelns zu beschreiben, um mit Max Weber (2006, 610) weiterhin darauf zu beharren, dass Politik doch eigentlich im "langsamen Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß" bestehe. Als Regierungsstil eigenen Rechts erheischt die Regierung von Krisen und Katastrophen eine eigenständige soziologische Aufmerksamkeit, die ihr in dieser Arbeit zuteilwerden soll. Ulrich Beck hatte bekanntlich schon in den 1980er Jahren darauf aufmerksam gemacht, dass das Auftauchen neuer und katastrophischer Risiken Politikformen Raum gegeben hat, die sich nicht mehr unter Rückgriff auf die klassischen Annahmen der politischen Soziologie begreifen lassen (Beck 1986). Sub-Politik ergänzt die professionelle Politik in bürokratischen Apparaten, Reflexivität tritt an die Stelle von Technokratie (Beck 1993), perennierendes Nichtwissen düpiert wissenschaftliche Experten (Beck und Wehling 2012), Weltpolitik drängt den Nationalstaat als Raum des Politischen zurück (Beck 2008, Beck und Grande 2010). Unbeirrt hat Beck an diesen Diagnosen auch im 21. Jahrhundert festgehalten. Das Auftauchen von Weltrisiken - vom internationalen Terrorismus über den Klimawandel bis hin zur Finanzkrise - eröffnet die Möglichkeit für einen anderen Umgang mit Risiken und neue Formen der Kosmopolitik. Diese Kosmopolitik schwört der bloßen Verwaltung von Risiken ab, während sie zugleich zu neuen, transnationalen und reflexiven Formen der Sozialität findet (Beck 2008). Der faktische Umgang mit exzeptionellen, katastrophischen Ereignissen insbesondere seit dem 11. September 2001 wies allerdings allzu oft ein ganz anderes politisches Handlungsmuster auf, das eher Analyseansätzen recht zu geben schien, die auf ganz und gar nicht reflexiv-kosmopolitische Tendenzen kontemporären Regierens im Krisenmodus hingewiesen haben. Die sozialwissenschaftlichen Security Studies zeigten, dass die Politik im Angesicht von "existential threats" (Buzan, Wæver und De Wilde 1998, 24) zwar tatsächlich klassische Modi des Risikomanagements hinter sich lässt, an deren Stelle jedoch nicht Kosmopolitik, sondern drastische Maßnahmen der securitization setzt (zur Unterscheidung von risk management und securitization siehe: Munster 2005). Mit exzeptionellen Maßnahmen, die nicht selten die Regeln des Rechtsstaats und des Völkerrechts strapazieren, soll ebenso exzeptionellen und existenziellen Bedrohungen wie kriegerischen Konflikten oder Terrorismus begegnet werden. Gerade die Maßnahmen des sogenannten "Kriegs gegen den Terror" haben in diesem Zusammenhang viel sozial- und kulturwissenschaftliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen: präventive Kriegsführung (Massumi 2007), umfassende Überwachung der Bevölkerung (Amoore und de Goede 2005), Politik der Ausnahmezustände (Agamben 2004), extraterritoriale Gefangenlager (Aradau 2007) oder das targeted killing von Terroristen (Krasmann 2012) sind zu bevorzugten Gegenständen kritischer Analysen und Theorien geworden. Nicht reflexive Kosmopolitik, sondern eine "illiberale Gouvernementalität" (Opitz 2008) sei typisch für die Reaktionen auf katastrophische Bedrohungen: eine Art der Regierung in liberalen Staaten, die versucht, die politische und ökonomische Verfassung offener Gesellschaften durch Maßnahmen zu sichern, die dieser Verfassung eigentlich widersprechen (siehe dazu auch: Bigo und Tsoukala 2008). Die Krise des Nationalstaats eröffnet, anders als in Becks Vision der Kosmopolitik, also nicht die Bühne für eine demokratische Weltinnenpolitik, sondern verräumlicht sich in extra-territorialen Zonen (Opitz und Tellmann 2012) und Lagern (Agamben 2002, Hailey 2009), in denen Menschen- und Bürgerrechte eingeschränkt oder ausgesetzt werden. Während Beck die optimistische Auffassung vertreten hatte, dass mit den neuen globalen Risiken auch neuen demokratischen Politikformen der Weg geebnet wird, haben die Theoretiker_innen des Ausnahmezustands, allen voran Giorgio Agamben (2004, 7-41), ein düsteres Szenario entworfen, in dem die Politik der Ausnahmezustände zum neuen "Paradigma des Regierens" wird. Jenseits von illiberaler Versicherheitlichung oder reflexiver Kosmopolitik, für die sich gewiss jeweils eine Reihe von empirischen Anhaltspunkten finden lassen, hat sich aber noch ein dritter Modus der Regierung von Katastrophen herausgebildet, der weder ins Schema der düsteren Kritik des Ausnahmezustands noch der hoffnungsvollen Beschwörungen einer zweiten Moderne passt. So wurden in einer Reihe westlicher Staaten Kapazitäten und Institutionen aufgebaut, die nicht primär darauf zielen, Katastrophen zu vermeiden, sondern vor allem darauf, sie besser zu bewältigen. Nicht die Vorbeugung von Ereignissen - entweder durch reflexive Vorsicht und Handlungsverzicht (precaution) (Sunstein 2007) oder durch immer drastischere Sicherheitsmaßnahmen, die proaktiv Gefahrenquellen ausschalten (preemption) (Massumi 2007) -, sondern die Vorbereitung (preparedness) (Lakoff 2007) auf Ereignisse steht hier im Vordergrund (zur Unterscheidung von precaution, preemption und preparedness siehe: Anderson 2010). Potenziell katastrophische Schadensereignisse, die niemals gänzlich abzuwenden sind, sollen nicht durch Ursachenbekämpfung, sondern durch Folgenkontrolle gemindert und dadurch regiert werden. Der vorsorgliche Aufbau von Strukturen soll dazu dienen, die Widerstandskraft und Krisenfestigkeit der Gesellschaft zu erhöhen, nicht dazu, sie von allen Gefahren abzuschirmen. Um eine Politik zu plausibilisieren, die sich vom Streben nach hundertprozentiger Sicherheit verabschiedet hat, wird immer wieder das schillernde Konzept der Resilienz angeführt, verstanden als die Fähigkeit eines Systems, erfolgreich auf Störungen zu reagieren. Die Regierung der Katastrophe durch Vorbereitung ist weniger spektakulär als die Politik der Ausnahmezustände und Militäreinsätze und zumeist weniger öffentlich als Weltklimagipfel und UNO-Vollversammlungen. Hier geht es um Ersthelfer_innen und Hilfskapazitäten, um Übungen des Katastrophenfalls, um den Aufbau von redundanten Infrastrukturen und Ressourcen, die Katastrophen abfedern können. Es geht um technische Fragen, robuste Architekturen und widerstandsfähiges Systemdesign. Nichtsdestotrotz geht es auch hier um die Vorbereitung auf existential threats, die ebenso bedrohlich wie ungewiss sind. Es geht um Katastrophenlagen, die sich über institutionelle, territoriale und geographische Grenzen hinaus ausbreiten und damit zugleich die Grenzen von innerer und äußerer Sicherheit verschwimmen lassen. Hier setzt dieses Buch ein. Es untersucht die Formen der Regierung der Katastrophe jenseits von Ausnahmezustand und Kosmopolitik, die mit Konzepten wie Resilienz und Katastrophenvorbereitung in Verbindung stehen. Es geht hier also weniger um die schrillen Grenzphänomene der Krisenpolitik, sondern um historische Veränderungen von Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsweisen bei der Reaktion und Vorbereitung auf Katastrophenereignisse. Damit schließt die Arbeit an eine jüngere interdisziplinäre und internationale Debatte um die Regierung der Katastrophe und Resilienz an (Lakoff 2007, Collier 2008, Lentzos und Rose 2009, Cooper und Walker 2011, Adey und Anderson 2012, Kaufmann 2012, Bröckling 2012, Corry 2014, Braun 2014, Collier und Lakoff 2015). In der bisherigen Debatte um Resilienz und preparedness wurde bereits das Aufkommen neuer und neu ausgerichteter Institutionen etwa seit der Jahrtausendwende nachgezeichnet, die sich auf die Bekämpfung von Katastrophen mit beliebigen Quellen - menschliche Handlungen, technisches Versagen, Naturgefahren - spezialisiert haben: etwa das Departement of Homeland Security in den USA, das Civil Contingencies Secretariat in Großbritannien oder das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe in Deutschland. Innerhalb dieser Institutionen haben sich neue Antizipations- und Interventionstechniken ausgebildet, die Katastrophen wenn auch nicht unbedingt beherrschbar, so doch in einer bestimmten Weise regierbar machen sollen. Allerdings konzentriert sich die Forschung bisher zumeist auf Entwicklungen in Großbritannien und den USA und ist zudem vor allem von den Politikwissenschaften, der Anthropologie und der Geographie geprägt. Die neuen Rationalitäten der Regierung von Katastrophen in Deutschland sind bisher nur ansatzweise analysiert worden (Kaufmann 2011), genauso wie eine soziologische Analyse neuer Praktiken der Sicherheit im Angesicht von Katastrophen noch in den Kinderschuhen steckt. An dieser doppelten Leerstelle setzt die vorliegende Arbeit an: Sie analysiert die Regierung der Katastrophe schwerpunktmäßig - wenngleich nicht ausschließlich - in Deutschland und entwickelt eine Analytik des Sicherheitsdispositivs, die in der Lage ist, bereits etablierte Ansätze der Soziologie des Risikos zu einer Soziologie der Sicherheit zu erweitern. Empirisch untersucht die Arbeit Katastrophenvorbereitungsmaßnahmen in öffentlichen, aber auch privaten Institutionen. Sie untersucht dafür etwa neu geschaffene Institutionen wie das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), das in der Folge des 11. September 2001 etabliert wurde, als sichtbarste Ausdrücke institutioneller und strategischer Verschiebungen deutscher Sicherheits- und Katatrophenvorsorgepolitik. Die Arbeit ist gleichwohl keine Institutionenanalyse, sondern eine Dispositivanalyse. Dieser analytische Zugang im Anschluss an Michel Foucault (1978, 119f.) bietet sich an, weil die Regierung der Katastrophe in Deutschland nicht von einer einzelnen Institution ausgeht, sondern von einer Vielzahl privater und öffentlicher Institutionen und Akteuren geleistet wird. Diese stehen bisweilen im regen Austausch, stimmen ihre Maßnahmen aufeinander ab, oder arbeiten gezielt miteinander. Und auch jenseits expliziter Koordinierung des Umgangs mit Katastrophenereignissen gibt es eine Reihe von Gemeinsamkeiten zwischen Bereichen, die auf den ersten Blick ganz unterschiedliche Ziele verfolgen: etwa im Feld der inneren Sicherheit und im Finanzsektor, in der Umweltpolitik und im Schutz großtechnischer Systeme. In allen diesen Bereichen werden nämlich Gefahren befürchtet, die in einer noch ungewissen Zukunft lauern und die drohen, jenseits des unmittelbaren Schadens das fortgesetzte Funktionieren komplexer (gesellschaftlicher, technischer oder natürlicher) Systeme nachhaltig zu kompromittieren. Jeweils geht es deshalb darum, sich auf ebenso unwahrscheinliche wie unvermeidliche Risiken vorzubereiten, um die Resilienz der potentiell betroffenen Systeme zu erhöhen. Diese Gemeinsamkeiten liegen dabei weniger in gezielten Absprachen, sondern auf der Ebene von analogen Wissensformen und Interventionstechniken, die die jeweiligen Akteure informieren und die ihre Vorbereitungen und Reaktionen auf katastrophische Ereignisse strukturieren. Das lose über eine Vielzahl von Institutionen, Bereichen und Akteursgruppen verstreute Netzwerk analoger Antizipations- und Reaktionstechniken zur Regierung der Katastrophe wird in dieser Arbeit als "Dispositiv" bezeichnet und analysiert. Die Arbeit verfolgt die Hypothese, dass sich die Rationalitäten und Maßnahmen zur "Vorbereitung auf die Katastrophe" zu einem neuen Sicherheitsdispositiv, dem Sicherheitsdispositiv der Resilienz, versammelt haben. Das Sicherheitsdispositiv der Resilienz unterscheidet sich systematisch von anderen historisch konstituierten Sicherheitsdispositiven wie dem Dispositiv der souveränen Staatssicherheit und dem der Bevölkerungssicherheit.

Weitere Infos

Art:
eBook
Sprache:
deutsch
ISBN:
9783593438504
Erschienen:
März 2018
Verlag:
Campus Verlag GmbH
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