Buch

Dämonentor - Charles Stross

Dämonentor

von Charles Stross

DAS ARCHIV DES GRAUENSAußendienstMit meinem Piepser bewaffnet lungere ich hinter einem Bürogebäude im Gebüsch herum. Die Welt wirkt gespenstisch grün - diese blöde Nachtsichtbrille! Außerdem lässt mich das verdammte Ding wie einen Gasmaskenfetischisten aussehen und verursacht Kopfschmerzen. Die Luft ist klamm, es nieselt, und die Feuchtigkeit ist derart penetrant, dass sie Regenhaut und Handschuhe durchdringt. Ich warte seit drei geschlagenen Stunden darauf, dass der letzte Workaholic endlich nach Hause geht, damit ich durch ein Hinterfenster einsteigen kann. Warum habe ich diesem verdammten Andy bloß versprochen, mitzumachen? Ein staatlich sanktionierter Einbruch ist viel weniger romantisch als es klingt - vor allem, wenn man nur ein durchschnittliches Gehalt dafür bekommt.(Andy, du Mistkerl! "Was übrigens deinen Antrag auf Außendienst betrifft - wir hätten da zufälligerweise einen kleinen Job zu erledigen. Kannst du vielleicht einspringen?")Ich trete von einem Fuß auf den anderen und puste mir in die Hände. Sonst rührt sich nichts.Es ist elf Uhr nachts, und noch immer brennen in dem quadratischen Bienenstock ein paar Lichter. Haben diese Leute denn kein sonstiges Leben? Ich schiebe mir die Nachtsichtbrille auf die Stirn und auf einen Schlag wird alles dunkel. Nur aus diesen beschissenen Fenstern schimmert noch immer Licht - wie Glühwürmchen, die in den leeren Augenhöhlen eines Totenschädels nisten.Plötzlich scheint ein Bienenschwarm meine Eingeweide zu umsurren. Leise fluchend ziehe ich die Regenhaut hoch und hole den Piepser heraus. Weil er nicht beleuchtet ist, muss ich es riskieren, meine Taschenlampe aufblitzen zu lassen. Die Nachricht lautet: MGR GEHT 5 MIN. Ich will gar nicht wissen, woher sie die Info haben. Noch fünf Minuten Versteckspiel hinter dem Zentrum für Qualitätssicherung der Memetix (UK) Ltd., der Niederlassung eines Multikonzerns aus dem kalifornischen Menlo Park - und dann kann ich endlich meinen Job erledigen.Irgendwo da im Gebäude gähnt der letzte, spät arbeitende Manager und greift nach der Fernbedienung, um schon einmal seinen BMW zu entriegeln. Die Putzkolonne ist bereits gegangen; die großen Server summen eintönig in ihrem voll klimatisierten Mutterleib, eng an den Versorgungsschacht des Bürogebäudes geschmiegt. Jetzt heißt es nur noch, nicht dem Sicherheitsmann über den Weg zu laufen, und schon bin ich so gut wie zu Hause.In der Ferne ist ein hustendes Geräusch zu hören - ein Motor springt an. Er heult kurz auf, und gleich darauf rast ein Auto mit vor Feuchtigkeit quietschenden Reifen über den Parkplatz. Während das Motorengeräusch allmählich in der Nacht verhallt, vibriert schon wieder mein Piepser: GO GO GO! Ich mache mich auf den Weg.Kein Bewegungsmelder löst Alarm aus. Keine Meute Rottweiler stürzt sich auf mich, und Wachmänner mit Stahlhelmen sind auch nicht zu sehen: Schließlich befinde ich mich weder in einem zweitklassigen Thriller noch bin ich Arnold Schwarzenegger. (Andy meinte: "Falls sich dir jemand in den Weg stellt, lächle einfach und zeige deine Karte. Und ruf mich an. Ich werde mich dann darum kümmern. Den Alten aus dem Bett zu klingeln bringt dir zwar ein paar Minuspunkte ein, aber die sind auf jeden Fall besser als ein Schädelbasisbruch. Das Croxley-Gewerbegebiet ist nicht Novaja Semlja, und mit eingeschlagenem Schädel die Welt vor dem Bösen zu retten macht auch keinen Sinn, okay?")Ich schleiche durch das matschige Gras zu dem auserkorenen Fenster. Ein kurzer Ruck und schon ist es offen. Dummerweise liegt es unbequem weit oben, mehr als einen Meter über dem Gulli. Ich hieve mich auf das Fensterbrett hoch und steige ein. Aus Versehen stoße ich einen Stapel Disketten um, der sich über den ganzen Boden ergießt. Der Raum leuchtet unheilvoll grün hinter meiner Nachtsichtbrille, von den hellen Wärmequellen der abgeschalteten Monitore einmal abgesehen. Vorsichtig lasse ich mich auf einen Schreibtisch herunter, auf dem sich jede Menge Krimskrams stapelt. Ich frage mich noch, wie mein Einbruch eigentlich unbemerkt bleiben soll, wenn der Besitzer meine Stiefelabdrücke zwischen seinen vertraulichen Unterlagen, der Tastatur und einem Becher mit abgestandenem Kaffee entdeckt. Und dann springe ich auch schon auf den Boden des Zentrums für Qualitätssicherung - und die Uhr läuft.Wieder vibriert der Piepser. LAGREP. Ich hole mein Handy aus der Brusttasche, tippe eine dreistellige Nummer und stecke es wieder ein. Nur um sie wissen zu lassen, dass ich drin bin und alles nach Plan läuft. Übrigens typisch Wäscherei - sie werden sogar die Handyrechnung dem Bericht beilegen! Die Zeiten sind schon lange vorbei, als es noch spontane Geheimaufträge gab ...Die Räumlichkeiten der Memetix (UK) Ltd. spiegeln die übliche Bürohölle wider: lauter gesichtslose beige Trennwände, die das Konzerndasein in winzig kleine Würfel unterteilen. Der Kopierer thront wie ein Altar vor einer Wand, die mit Bürodevotionalien vollhängt - unnütze Listen, Memos, Kursangebote für den eifrigen Mitarbeiter. Ich schaue mich nach Arbeitsplatz D 14 um. An einer Seite der Trennwand hängen Dilbert-Cartoons - wohl Hinweis auf einen rebellisch angehauchten Geist. Bestimmt dreht das mittlere Management seine Runden, bevor ein Besuch aus den oberen Etagen ansteht, und reißt alle Bilder, die Unmut signalisieren könnten, von den Wänden. Ich verspüre für einen kurzen Moment einen Anflug von Mitleid. Das arme Schwein! Wie fühlt man sich wohl, wenn man in einer dieser Zellen im Herzen der neuen industriellen Revolution feststeckt und nie weiß, wo der Blitz als Nächstes einschlägt?Auf dem Schreibtisch stehen drei Monitore - zwei große, aber ansonsten normale, und ein ziemlich seltsam aussehendes Teil, das schon über zehn Jahre alt sein und noch aus den Tiefen der Computerrevolution stammen muss. Wahrscheinlich eine alte Sytnbolics-LISP-Maschine oder so. Diese Antiquität würde mich zwar reizen, aber leider habe ich keine Zeit, denn der Typ vom Sicherheitsdienst wird in genau sechzehn Minuten seine nächste Runde drehen. Auf beiden Seiten des Schreibtisches liegen stapelweise Bücher: Knuth, Dijkstra, Al-Hazred und weniger bekannte Namen. Ich setze mich und rümpfe sofort angewidert die Nase. In einer der Schreibtischschubladen hat irgendwas den Jordan überquert und das wohl schon vor einiger Zeit.Tastatur: Check. Root-Benutzer: Ich hole die entwendete S/Key-Chipkarte heraus, die der Wäscherei von einem der Memetix-Lieferanten zugespielt wurde, und gebe das Passwort in das Terminal ein. (Einmal-Passwörter sind verdammt schwer zu knacken, aber zum Glück hat die Wäscherei ihre Hiwis.)

Weitere Infos

Art:
eBook
Genre:
Science Fiction - Fantasy
Sprache:
deutsch
Umfang:
0 Seiten
ISBN:
9783894804190
Erschienen:
April 2008
Verlag:
Heyne Verlag
Übersetzer:
Mechthild Barth
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