Buch

Sinnstifter - Jürgen Schöntauf

Sinnstifter

von Jürgen Schöntauf

Warum gibt es dieses Buch?

"Das Heil der Welt liegt nicht in neuen Maßnahmen, sondern in einer anderen Gesinnung." Albert Schweitzer

Ein Grund für dieses Buch liegt in meiner eigenen Werteorientierung. Ich bin aus einem tief verwurzelten Optimismus heraus der festen Überzeugung, dass wir zwar nicht in einer perfekten, aber in einer guten Welt leben und dass es für jeden von uns Möglichkeiten gibt, sie noch besser zu machen. Seit über 20 Jahren begleite ich als Kommunikationsdesigner und Berater Unternehmen und Konzerne aus den unterschiedlichsten Branchen. Dazu gehören viele B2B-Unternehmen, aber auch einige Non-Profit-Organisationen und kleine Handelsunternehmen. Obwohl ich in dieser Zeit in einigen Unternehmen enttäuschende Erfahrungen hinsichtlich Nachhaltigkeit, Unternehmenskultur und Werteorientierung machen musste, ist es eine meiner Überzeugungen, dass Unternehmertum im deutschsprachigen Raum besser ist als sein Ruf. Unternehmertum ist in Deutschland aus vielen Gründen schlecht angesehen. Das hat eine lange Tradition. Es beginnt bei den Schul- und Kinderbüchern, in denen häufig der Bösewicht ein Unternehmer ist oder zumindest als unangenehme, unsympathische Person beschrieben wird. So wie in Paul Maars Eine Woche voller Samstage: Dort ist es der Regenschirmfabrikant Herr Oberstein, der den lieben Herrn Taschenbier ständig ärgert und keinen einzigen positiven Charakterzug besitzt. Auch im Kabarett kommen Unternehmer in der Regel schlecht weg. Getreu der Devise "Ich habe die Arbeit, der Chef hat den Gewinn" wird Kapitalismuskritik auf dem Rücken der Unternehmer geübt. Und das Handelsblatt stellte fest, dass in der Fernsehreihe Tatort am Ende immer der Unternehmer der Bösewicht ist. Boris Thomas, Inhaber und Geschäftsführer von Lattoflex, dem Unternehmen, das den Lattenrost erfunden hat und heute für rückenschmerzfreies Schlafen steht, erzählte mir:

"Ich halte seit Jahren Vorträge auf den sogenannten MIG, den Marketing Information Games, über Marketing, Führung und Unternehmertum. Das wird vom Bildungswerk der niedersächsischen Wirtschaft initiiert. Dort schlüpfen Schüler fünf Tage lang in die Rolle von Vorständen konkurrierender Industriebetriebe. Jeden Tag bekommen sie dazu Vorträge gehalten und sehr viel Input. Das klappt super mit den Schülern, ist zum Teil richtig cool und macht viel Spaß. Die finden das klasse und saugen die Inhalte auf wie ein trockener Schwamm. Die Zusammenarbeit mit den Lehrern ist dagegen eine absolute Katastrophe. Selbst Wirtschaftskundelehrer sind nicht wirklich kooperativ. Die meisten Lehrer kommen allerdings ohnehin nicht in die Vorträge. Die Zusammenarbeit mit Schulen ist oft ein einziges Debakel, auch wenn es sicherlich positive Ausnahmen unter den Schulen und Lehrern gibt." Eine Maßnahme zum Thema Schule und Unternehmertum ist die vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie unterstützte Initiative "Unternehmergeist in die Schulen". Allerdings schreiben auch dort die Initiatoren auf der Website, dass die Projekte bisher noch zu zögerlich angenommen werden: zu großer Zeitaufwand, fehlende Erfahrung und mangelnde Anerkennung. Nicht vonseiten der Schüler, sondern vonseiten der Schulen. Es ist positiv, dass es diese Initiativen gibt. Dass sie in die richtige Richtung gehen, zeigen die Reaktionen der Schüler, die begeistert mitmachen, sich inspirieren lassen und viele Ideen entwickeln. Wenn sich in Zukunft auch Lehrer und Eltern dafür begeistern ließen, könnten wir viel erreichen. Ein weiterer Grund für das negative Image der Unternehmer ist, dass viele Menschen angestellte Geschäftsführer, Manager oder Vorstände großer Konzerne automatisch mit Unternehmern in einen Topf werfen. So fällt vielen bei den großen Skandalen der letzten Jahre, sei es bei Thyssen, Siemens, der Deutschen Bank oder auch VW, die Differenzierung schwer. Schnell wird pauschalisiert und über die Gier und die Unmoral in den Unternehmen diskutiert. Ein Artikel in der Zeit stellte die Frage: "Macht Geld unmoralisch?" Und weiter hieß es: "Steuerhinterziehung, Anlagebetrug, Untreue: Wohin man blickt auf den Chefetagen großer deutscher Unternehmen - der Staatsanwalt war schon da. Bilanz eines Werteverlusts." Bei vielen Unternehmen liegt anscheinend ein generelles Problem vor. Aber pauschale Urteile haben noch nie weitergeholfen, denn es gibt auch in Konzernen verantwortungsvolle Vorstände, Manager und Geschäftsführer. Und doch existieren Unterschiede zwischen inhabergeführten Unternehmen und solchen, die von angestellten Geschäftsführern oder Managern geführt werden. Dr. Nikolaus Förster, der 2013 den Schritt von der angestellten Führungskraft zum Inhaber der Unternehmerzeitschrift Impulse wagte, sagt, dass man auf jeden Fall besser schlafe, wenn man angestellt sei. Denn als Unternehmer trage man erheblich mehr Verantwortung. Gerhard Kränzle, der im selben Jahr vom angestellten Geschäftsführer zum Inhaber von Atelier Gardeur in Mönchengladbach wurde, nimmt einen Unterschied in den Perspektiven wahr. Für ihn schafft ein Unternehmer in der Regel langfristig Werte, während Manager meistens eher kurzfristig denken. Ein Problem sei auch, dass Manager oft keine Unternehmensanteile besitzen und mit dieser Sicherheit im Rücken ganz anders handeln als Unternehmer, die jederzeit voll in der Haftung stehen. Auch Boris Thomas sieht einen großen Unterschied bei der persönlichen Haftung:

"Wenn wir hier ein schlechtes Jahr haben, dann habe ich kein Geld verdient. Das Gehalt eines angestellten Managers sind Betriebskosten, und wenn das Unternehmen in einem Jahr Verluste macht, sind die dort mit drin. Ich glaube, dass es sehr gute Manager gibt, wir haben hier in unserem Unternehmen selbst welche. Aber trotzdem wird es immer diesen Unterschied geben: Wenn ich persönlich haftbar bin für ein Unternehmen, und ich bin Gesellschafter dieses Unternehmens, wird es immer einen anderen Blickwinkel darauf geben, als wenn ich pro Monat mein festes Gehalt dafür bekomme. Es ist immer ein anderes Gefühl, wenn es das eigene Unternehmen ist. Das gilt auch für das Auftreten nach außen."

Boris Thomas, Nikolaus Förster und Gerhard Kränzle gehören zu den Unternehmern, die ich für dieses Buch interviewt habe. Sie und die anderen Interviewpartner, zu denen auch eine angestellte Geschäftsführerin und Studenten der Universität Witten-Herdecke zählen, gehören zu den Menschen, die ich als Sinnstifter bezeichne. "Nicht das Kapital bestimmt den Wert eines Unternehmens, sondern der Geist, der in ihm herrscht", sagte Claude Dornier, deutscher Flugzeugkonstrukteur und Gründer der Dornier-Werke. Sinnstifter sind Unternehmer, die erkennen, dass ihre Unternehmen keine Inseln sind, sondern eingebunden in Gesellschaft und Umwelt. Die Suche nach Sinn war schon immer ein zutiefst menschliches Bedürfnis. Viktor E. Frankl, ein Psychiater, der während des Nationalsozialismus die Inhaftierung in den Konzentrationslagern überlebte, definierte den Menschen als sinnsuchendes Wesen, das einen sinnvollen Beitrag leisten will. Sinn ist jedoch nicht "herstellbar" wie ein neues Auto und lässt sich nicht konsumieren wie ein leckeres Essen. Sinn ist ein Prozess, eine Suche. Er ist das Resultat von Einsichten, Haltungen und Werteorientierungen, eingebettet in den unternehmerischen und gesellschaftlichen Kontext. Die Unternehmer, die ich in diesem Buch vorstelle und zu Wort kommen lasse, gehören zu den Menschen, die bereit sind, sich selbst zu verändern. Sie hinterfragen festgeschriebene Grundannahmen und Branchenmythen und definieren die klassische Aufgabe von Unternehmertum, Gewinn zu erwirtschaften, anders. Denn ihr Gewinn liegt nicht nur darin, Geld mit ihren Produkten oder Dienstleistungen zu verdienen, sondern vor allem in der Verantwortung für soziale Gerechtigkeit und unsere Umwelt. Sie wissen, dass jedes Unternehmen eine gesellschaftliche Bedeutung besitzt. Denn alles Handeln eines Unternehmens hat Auswirkungen auf Umwelt und Menschen. Dennoch muss jedes Unternehmen finanziellen Gewinn erwirtschaften, sonst kann es keine Arbeitsplätze schaffen oder in umweltverträgliche Produktion und Produkte investieren. Die Beispiele in diesem Buch zeigen, dass ein Unternehmen Sinnstiftung und Profit erfolgreich miteinander verbinden und damit ein Beispiel dafür sein kann, wie wichtig Unternehmertum für unsere Gesellschaft ist. Viele Unternehmen in Deutschland, Österreich und der Schweiz besitzen mit dem, was sie tun, eine große gesellschaftliche Relevanz. In manchen Bereichen sind sie Vorreiter und wagen etwas Neues, so wie Andrea Lunzer mit der Maß-Greißlerei in Wien oder Dirk Müller-Remus mit seinem Unternehmen auticon, die ich Ihnen weiter unten vorstellen werde. Oder sie schaffen eine Unternehmenskultur, in der Mitarbeiter Wertschätzung erfahren und jeden Tag gerne zur Arbeit gehen, wie es Boris Thomas bei Lattoflex oder Detlef Lohmann bei allsafe Jungfalk gelungen ist. Auch diese Unternehmen lernen Sie auf den folgenden Seiten näher kennen. Es sind Unternehmer und Unternehmerinnen, die über die Veränderung der Führungs- und Beziehungskultur neue Wege beschritten haben, die ungewöhnliche Ideen unbeirrt in die Tat umsetzen und wissen, dass sie damit etwas verändern können; die manchmal den Profit der Umsetzung ihrer Ideen unterordnen mit dem Bewusstsein, etwas Besonderes und Gutes zu schaffen und so einen Gewinn für alle zu ermöglichen. Sinnstiftung hat viele Gesichter, ein paar davon zeige ich in diesem Buch. Dazu möchte ich Ihnen Anregungen geben, wie auch Sie mit oder in Ihrem Unternehmen den Weg zum Sinnstifter einschlagen können. Ich habe meine jahrelangen Erfahrungen in sieben Stufen gegliedert, die ich als MindShift-Steps bezeichne und Ihnen anhand von Beispielen aus unterschiedlichen Unternehmen nahebringen möchte. Wir müssen unser bisheriges Denken über die Welt hinterfragen, um den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu begegnen. Albert Schweitzer hat einmal gesagt: "Das Heil der Welt liegt nicht in neuen Maßnahmen, sondern in einer anderen Gesinnung." Die Herausforderungen von heute lösen wir nicht mit den Werkzeugen von gestern. Viele Unternehmer und Manager gerade kleiner und mittelständischer Unternehmen stehen gesellschaftlicher Verantwortung, sozialer Gerechtigkeit und ökologischem Handeln mit dem Gefühl gegenüber, sich einen derartigen Luxus nicht leisten zu können. Sie zweifeln, ob Verantwortung für Gesellschaft und Umwelt zu einem messbaren Wettbewerbsvorteil führt. So bleibt es häufig bei reinen Lippenbekenntnissen, oder es werden nur zaghafte Versuche unternommen, die nicht zu positiven Resultaten führen. Für alle, denen die Beispiele in diesem Buch nicht ausreichen, gibt es seit 2016 eine wissenschaftliche Untersuchung, die belegt, dass sich nachhaltiges soziales und ökologisches Verhalten auch ökonomisch lohnt. Eine Gruppe von Wissenschaftlern vom Center for Organizational Excellence der Universitäten St. Gallen und Genf hat dazu ein umfassendes Forschungsprojekt initiiert. Zuerst ein ernüchterndes Ergebnis: Wer sich nur halbherzig auf dieses Thema einlässt und unter dem Deckmäntelchen der Verantwortung hier und da ein paar Prozesse optimiert, steht irgendwann schlechter da als Unternehmen, die gesellschaftliche, ökologische oder soziale Fragen ignorieren. Vielleicht werden jetzt einige aufatmen und sagen, das haben wir ja schon immer gewusst, wir lassen am besten alles, wie es war. Doch das ist nur ein Teil der Ergebnisse. Das einhellige Fazit dieser Forschungsarbeit lautet nämlich, dass eine verantwortungsvolle Strategiearbeit die Wettbewerbsstärke von Unternehmen maßgeblich und messbar verbessern kann. Vorausgesetzt man ist bereit, sein Kerngeschäft nicht nur zu optimieren, sondern gleichzeitig permanent zu erneuern. Nachhaltige Strategie darf nicht nur als Marketing-Gag oder Selbstzweck betrachtet werden, sondern man muss alle Prozesse im Unternehmen hinterfragen und dabei auch über neue Geschäftsfelder und Vertriebsideen nachdenken. Unternehmen, die sich diese Fragen nicht stellen wollen, werden in Zukunft kaum noch von Belang sein. Denn die Konsumenten sind aus ihrem Dornröschenschlaf erwacht und verlangen von den Unternehmen Moral, Verantwortung und legales Verhalten. Die Gesellschaft erwartet, dass Firmen ihre Position nutzen, um einen gesellschaftlichen Wertbeitrag - einen Public Value - zu schaffen. Unternehmen, die sich dem verweigern, werden in der Bedeutungslosigkeit versinken. Lassen Sie sich von den Beispielen in diesem Buch inspirieren. Nicht immer lassen sie sich eins zu eins auf andere Unternehmen übertragen, aber Sie können einzelne Ideen adaptieren oder Anregungen für Ihren eigenen Weg sammeln. Lassen Sie uns gemeinsam die Welt besser machen, als Unternehmer und als Konsumenten - denn manche von uns sind beides und tragen so die doppelte Verantwortung. Zukunft gestalten beginnt heute.

Teil 1 Alles bleibt anders?

"Tu es oder tu es nicht. Es gibt kein Versuchen." Meister Yoda

If you pay peanuts, you get monkeys

Die Haupteinsatzgebiete von Zeit- beziehungsweise Leiharbeitern liegen in der Produktion und im Dienstleistungsgewerbe. In der Regel sind die Tätigkeiten, die es dort zu verrichten gilt, körperlich anstrengend und monoton. Oft herrschen ungünstige Umgebungsbedingungen. Für die Menschen, die ihre Arbeitskraft als Leiharbeiter zur Verfügung stellen, sind das keine optimalen Voraussetzungen. Für die Unternehmen sind Leiharbeiter dagegen ein absoluter Gewinn - in mehrfacher Hinsicht. Ihre Beschäftigung ist im Verhältnis zur Festanstellung eines Mitarbeiters bequem und einfach. Zahlreiche Formalitäten werden über die Zeitarbeitsfirmen abgewickelt. Leiharbeiter sind erheblich günstiger als festangestellte Mitarbeiter und können schneller und einfacher entlassen werden. Das ist in einer Krise oder bei Auftragsrückgängen für das Unternehmen ideal, um die Liquidität nicht übermäßig zu strapazieren. Gibt es eine unerwartete Nachfrage oder befindet sich das Unternehmen im schnellen Wachstum, sind Leiharbeiter ebenfalls eine hervorragende Lösung. Bei anhaltendem Wachstum kann es vorkommen, dass Leiharbeiter übernommen werden. Sie sind dann bereits eingearbeitet und froh, eine feste Anstellung zu haben, auch wenn es sich häufig um Zeitverträge handelt und ihr Einstiegsgehalt unter dem ihrer Kollegen liegt. Für Unternehmen sind Leiharbeiter viel wert. Nach dem Gesetz steht Leiharbeitern der gleiche Lohn zu, den auch die Stammbelegschaft für vergleichbare Tätigkeiten erhält. Es kann jedoch Ausnahmen geben, wenn Arbeitgeber und Gewerkschaften sich durch Tarifvertrag anders einigen. Laut einer Pressemeldung des Instituts für Arbeit und Qualifikation (IAQ) vom 17. Februar 2016 ist diese Ausnahme in der Praxis eher die Regel. Ein Blick in die Statistik zeigt noch andere Probleme: Nach Angaben des Arbeitsministeriums sind Leiharbeiter mit durchschnittlich 18 Fehltagen häufiger und länger krank als festangestellte Arbeitnehmer mit 13 Fehltagen. Auch die Verletzungsgefahr für Leiharbeiter ist erheblich größer. Das klingt durchaus logisch, denn durch häufig wechselnde, kurze Arbeitseinsätze haben sie es erheblich schwerer, die Unfallgefahren in einem Betrieb sowie die Kniffe und Tricks für fehlerfreies Handeln kennen zu lernen. Leiharbeiter leisten oft die gleiche Arbeit wie die Festangestellten. Dazu gewähren sie dem Arbeitgeber eine hohe Flexibilität. Zusätzlich zu ihrer Arbeitskraft bieten sie noch eine weitere Leistung an: Sie können ohne viel Aufwand wieder entlassen werden. Allerdings werden sie für diese Zusatzleistung nicht entschädigt und können sich auch nicht dagegen versichern. Als Detlef Lohmann von der allsafe Jungfalk GmbH & Co. KG, einem Hersteller von Ladegutsicherung für LKW und Flugzeuge mit Sitz in Engen, in der Wirtschaftskrise 2008/2009 seine Leiharbeiter entlassen musste, sagte einer von ihnen beim Abschied: "War ja klar, dass wir als Erste gehen müssen." Detlef Lohmann wurde in diesem Augenblick bewusst, dass er gerade jene Mitarbeiter entließ, die das unternehmerische Risiko am stärksten mittrugen und dafür den schlechtesten Lohn erhielten. Er erkannte, dass diese Vorgehensweise nicht zu dem neu erarbeiteten Unternehmenswert Fairness passte. Denn auch wenn etwas marktüblich und sogar legal ist, bedeutet das nicht, dass es fair sein muss. Ein weiterer Gedanke kam ihm in den Sinn: Leiharbeiter helfen Unternehmen in vielen Situationen, sich weiterzuentwickeln und ihre Profitabilität zu optimieren, werden dafür aber schlecht bezahlt und können jederzeit entlassen werden. Menschen in so einer Situation betrachten sich als wertlos, vor allem wenn sie für ihre Arbeit nie Wertschätzung erfahren. Wer schlecht und unfair behandelt wird, spürt und verinnerlicht das überdeutlich. Detlef Lohmann fasste einen Vorsatz. Als nach der Krise die Nachfrage schlagartig wieder einsetzte, musste das Unternehmen erneut auf Leiharbeiter zurückgreifen, um die Bestellspitzen abzufangen. Aber diesmal wollte er es anders machen. Der Unternehmenswert Fairness sollte jetzt in die Praxis umgesetzt werden. Er hatte gelesen, dass die Leiharbeiter in Skandinavien von Gesetzes wegen bessergestellt sind als feste Mitarbeiter. Sie werden dort als wichtige Glieder im Arbeitsprozess gesehen, ohne die viele Unternehmen nicht funktionieren können. Er schaute sich das skandinavische Modell und die Zahlen genau an und kalkulierte das Ganze für sein Unternehmen durch. Und er stellte fest, dass es möglich war, Leiharbeiter zu fairen Konditionen einzukaufen, ohne die Profitabilität des Unternehmens zu gefährden. Genauer gesagt zahlt er den Leiharbeitern nun 50 Prozent mehr, als üblicherweise für Leiharbeit gezahlt wird. Damit bekommen sie sogar mehr als ihre festangestellten Kollegen. Das wird von allen Mitarbeitern akzeptiert, denn sie wissen um ihren Vorteil eines sicheren Arbeitsplatzes. Das Unternehmen allsafe Jungfalk hat von diesem Schritt in vielerlei Hinsicht profitiert. Die Arbeitsqualität stieg, die Fehlerquote sank, die Stimmung im Unternehmen wurde besser. Es war aber nicht nur die Abwandlung der alten Redewendung "If you pay peanuts, you get monkeys", die sinngemäß übersetzt heißt: "Wer nichts zahlt, darf nichts erwarten." Es geht nicht um das Geld alleine. Mir sagte mal jemand, bei einer fairen Bezahlung der Mitarbeiter gehe es nur um die Hygiene. Wenn man nicht mehr über Geld diskutieren muss, kann man sich um die wirklichen Probleme im Unternehmen kümmern. Faire Bezahlung ist ein Zeichen von Wertschätzung für die Leistung, die man erhält. Sie ist aber nicht der wirkliche Antrieb für Höchstleistungen. Einer meiner Mitarbeiter sagte mir mal, Spaß bei der Arbeit bedeute immer mehr Leistung für das gleiche Geld. Wenn Menschen Spaß haben, wertgeschätzt werden, sich fair behandelt fühlen, dann engagieren sie sich und gehen oft weit über das hinaus, was von ihnen verlangt wird. Im Grunde ist es ganz einfach, wird aber nur selten umgesetzt. Dass die Leiharbeiter von Detlef Lohmann sich nach der Krise noch mehr für das Unternehmen engagierten, war nicht allein die Folge der besseren Bezahlung. Es lag vor allem an der Wertschätzung, die ihnen durch diese faire Behandlung entgegengebracht wurde. Sie waren nicht mehr nur ein Kostenfaktor, der jederzeit entfernt werden kann, wenn er nicht mehr benötigt wird, sondern ihre Arbeit und das Risiko, das sie durch ihre Flexibilität trugen, wurden nun anerkannt und geschätzt. Schließen Sie bitte kurz die Augen. Stellen Sie sich vor, jedes Unternehmen in Deutschland würde genauso verfahren! Ich vermute, dass jetzt der eine oder andere aufschreit, allsafe Jungfalk müsse als Einzelfall betrachtet werden und in seiner Branche würde das gar nicht funktionieren. Es ist immer die Branche, in der etwas, das anderswo erfolgreich umgesetzt wird, mit Sicherheit nicht geht. Wir lieben und pflegen unsere Branchenmythen. Tatsächlich sind es immer die gleichen, aber jede Branche ist fest davon überzeugt, dass das nur bei ihnen so ist. Man ist gerne einzigartig, auch mit seinen Problemen. Mal ganz unabhängig von Branchenmythen oder Einzelfallgedanken: Was ist so schrecklich an der Vorstellung, Menschen fair für ihre Leistung und ihr Risiko zu bezahlen? Und trotzdem das Unternehmen nicht in den Abgrund zu führen, sondern sogar mehr Umsatz und Gewinn zu machen? Detlef Lohmann sagte dazu:

"Hätte ich die Leiharbeitergehälter nach der Krise nicht wesentlich erhöht, dann hätten wir jetzt, in der Phase des ungeplanten Wachstums, in der wir so sehr auf viele Leiharbeiter angewiesen sind, nie den Umsatz geschafft, den wir zurzeit erzielen."

Denn sie hatten einen enormen Nutzen erzielt: Es gab kaum noch Qualitätsprobleme, und die Leiharbeiter zeigten großes Engagement. Es kann sehr einfach sein, ein Sinnstifter zu sein und viele Menschen davon profitieren zu lassen. Probieren Sie es aus. Spannend ist es, darüber nachzudenken, wie sich diese Ideen für die eigene Branche adaptieren lassen. Nehmen Sie die folgenden Beispiele als Inspiration.

Der Planet ist nicht als Einbahnstraße angelegt, sondern als Kreislauf

"Restaurants und die Lebensmittelindustrie sind so ziemlich die verschwenderischsten Branchen auf der Welt." Als ich den britischen Koch Arthur Potts Dawson 2010 das erste Mal auf einer TED-Konferenz hörte, hat mich sein Vortrag stark beeindruckt. Unaufgeregt und nüchtern zeigte er auf, welche Mengen an Energie, Nahrungsmitteln und Wasser in Restaurants verbraucht werden. Wie immer sind es die einfachen Beispiele, die im Kopf bleiben. In meinem Fall ist es eine Kartoffel, die laut Dawson in ihrem Leben acht energieverbrauchende Stadien durchläuft. Zum ersten Mal wird Energie verbraucht, wenn sie gepflanzt wird. Während sie wächst, muss sie gepflegt werden. Dann wird sie mit hohem Energieaufwand geerntet und verteilt. Bis die Kartoffel in einer Küche landet, hat sie große Strecken zurückgelegt, wenn sie nicht gerade im eigenen Garten aufgewachsen ist. Häufig nimmt sie den Weg über Zwischen- und Großhändler. Nur im Idealfall wird die Kartoffel bei einem lokalen Produzenten direkt eingekauft. Aber auch der muss sie nach der Ernte erst einmal auf seinem Hof in Lagerhallen unterbringen, bis er sie eines Tages mit zum Markt nimmt. So manche Kartoffel legt den Weg vom Hof zum Wochenmarkt mehrmals zurück, bevor sie endlich verkauft wird. Im Privathaushalt oder Restaurant angekommen, wird sie in unterschiedlichen Varianten zubereitet und endlich gegessen. 100 Gramm einer Kartoffel haben durchschnittlich 70 Kalorien. Der Energieaufwand, um sie auf den Teller zu bringen, ist um ein Vielfaches höher. Womöglich nur, um sie dann in bereits zubereitetem Zustand doch wieder wegzuwerfen. Selbst wenn sie wirklich gegessen wird, ist ihre letzte Stufe der Abfall. Und auch der wird mit Wasser entsorgt, das wiederum unter Einsatz von viel Energie und Chemie gereinigt wird. Arthur Potts Dawson verwendet den Begriff "waste" zunächst in seiner Bedeutung von "Verschwendung", dann in seiner Bedeutung als "Müll": "There are different types of waste. There is a waste of time, there is a waste of space, a waste of energy, and there is a waste of waste." Seine Mission ist es, wie er sagt, die Verschwendung von Lebensmitteln in Restaurants radikal zu reduzieren. Aus diesem Grund wurde er Unternehmer und gründete zuerst eine Reihe ökologischer Restaurants, später mit seinen Kollegen David Barry und Kate Bull den People's Supermarket. Es ging ihm nicht in erster Linie um die Maximierung unternehmerischer Gewinne, was ihn von vielen anderen Entrepreneuren unterscheidet. Ihm ging es um die Zukunft und wie wir in ihr leben werden. In seinen Restaurants zeigte er, dass es in einer Branche, der Verschwendung gewissermaßen immanent ist, möglich ist, nachhaltig und ökologisch zu wirtschaften. Das Holz der Tische stammte aus nachhaltiger norwegischer Forstwirtschaft. Die Kissen für sein Restaurant Acorn House kaufte er auf dem Trödelmarkt. Auf außergewöhnliche Weise wurde er auch der Verschwendung von Lebensmitteln Herr: Seine Speisekarten waren so konzipiert, dass seine Gäste den Umfang der Gerichte nach ihren persönlichen Prioritäten und ihrem Appetit auswählen konnten. Die Menge der Speisen wurde nicht von den Köchen vorgeschrieben, sondern die Gäste bestimmten selbst, wie viel oder wie wenig sie auf dem Teller haben wollten. Selbstverständlich fiel auch in seinen Restaurants Müll an. Potts Dawson war klar, dass es nicht möglich sein würde, den Müll abzuschaffen. Aber er hat ihn radikal reduziert. Wenn doch einmal Essensabfälle anfielen, wurden sie in einen speziellen wasserentziehenden, verdörrenden Zerkleinerer gegeben. Dabei entsteht eine Substanz, die gelagert und später kompostiert werden kann. Er verwendete sie in seinem eigenen Garten im Hinterhof. Dort hielt er Pflanzen in Kübeln, die aus umgestürzten Bäumen, alten Weinfässern oder umgestülpten Autoreifen bestanden. Die Idee der Weiterverwertung hat Arthur Potts Dawson auch in dem von ihm mitgegründeten People's Supermarket konsequent umgesetzt. Lebensmittel, die kurz vor dem Ende der Haltbarkeit stehen, werden nicht wie bei der Konkurrenz üblich weggeworfen. Der bei Jamie Oliver ausgebildete Koch verarbeitet diese Lebensmittel zu kleinen Delikatessen, die nicht nur länger haltbar sind, sondern auch gute Preise erzielen. Eine eigene Form des Upcycling. Noch etwas anderes hat Potts Dawson bei seinen unternehmerischen Ideen angetrieben: Bei allem, was er tut, geht es ihm um die Gemeinschaft. Das beste Beispiel dafür ist der People's Supermarket, eine lupenreine Kooperative beziehungsweise klassische Genossenschaft. Wer jährlich 25 Britische Pfund zahlt, wird Mitglied und erhält beim Einkauf 20 Prozent Rabatt auf die meisten Artikel. Als Gegenleistung verpflichtet man sich, vier Stunden im Monat unbezahlt im Supermarkt zu arbeiten. Jedes Mitglied kann mitbestimmen, was verkauft werden soll und wie der Laden weiterentwickelt wird. Als Unternehmer war Potts Dawson von Anfang an von seiner Idee einer funktionierenden Gemeinschaft überzeugt. Zunächst fand er nur wenige Menschen, die als Miteigentümer die Idee der Kooperative mittragen wollten. Viele nahmen ihm seinen ausgeprägten Gemeinsinn nicht ab und glaubten nicht, dass es ihm um das Prinzip und nicht ausschließlich um Gewinn ging. Dabei kannten ihn viele Menschen, die er für diese Idee gewinnen wollte, denn er hatte vor, den Supermarkt in seiner eigenen Wohngegend zu eröffnen. Um sein Vorhaben voranzutreiben, klopfte er an unzählige Türen und verteilte noch mehr Flugblätter. Doch obwohl die kaufmännischen Vorteile der Kooperative auf der Hand lagen, wollten die Leute lieber weiter im gewohnten Supermarkt um die Ecke einkaufen. Selbst die günstigeren Preise und die Möglichkeit, das Warensortiment mitbestimmen zu können, waren für sie kein Argument, der Kooperative beizutreten und eingefahrene Gewohnheiten zu überwinden. Am Ende konnte er doch 30 Mitstreiter gewinnen - und entwickelte auf dieser Basis nach und nach ein Erfolgsmodell. Ein elementarer Bestandteil der Kooperative, die von allen Mitgliedern mitgetragen wird und Teil eines Manifests ist, ist die faire Bezahlung der Zulieferer. Eine der größten unternehmerischen Leistungen von Arthur Potts Dawson ist die Vernetzung der Menschen, die sich als Miteigentümer im People's Supermarket zusammengefunden haben. Er hat eines der wichtigsten Prinzipien für Unternehmer des 21. Jahrhunderts verstanden: Investition in Gemeinschaft schafft Werte! Mit seiner Idee der Kooperative hat er ein tiefes menschliches Bedürfnis angesprochen und genutzt - den Wunsch nach Gemeinschaft und gemeinsamer Verantwortung. Wir Menschen sind soziale Wesen; das ist tief in uns verankert. Potts Dawson gehört zu einer neuen Generation von Unternehmern, die unsere Gesellschaft mit ihrem Tun verändern wollen. Er fing mit dem an, womit er sich am besten auskannte - dem Essen. Er verknüpfte Wissen und Erkenntnisse, die für sich genommen nicht neu waren, zu etwas wirklich Neuem. Jeder Schritt seines unternehmerischen Tuns ist sinnvoll und bringt, keineswegs nur nebenbei und zufällig, sogar Profit.

Ein Supermarkt ohne Verpackung ? geht das überhaupt?

Andrea Lunzer war einige Jahre als Marketingmanagerin bei der österreichischen Lebensmittelhandelskette Hofer für die Verpackungen der Biomarke "Zurück zum Ursprung" zuständig. Schon damals fand sie es absurd, dass Biolebensmittel zum Verkauf mit Plastik überzogen wurden. Zunächst beschäftigte sie sich mit biologisch abbaubaren Kunststoffalternativen. Als sich in ihrem privaten Umfeld immer mehr Menschen darüber Gedanken machten, wie viele - in der Regel unnötige - Verpackungen verwendet und weggeworfen wurden, erkannte sie, dass sie sich nicht länger Gedanken über das verwendete Material machen sollte, sondern lieber über die Vermeidung von Verpackung. Das ganze System musste verändert werden. Bei ihrem Arbeitgeber kam sie nicht weiter, dem reichte es, eine normale Folie durch eine Bioplastikfolie zu ersetzen. Darüber hinaus gab es nur wenig Willen zur Veränderung. Verpackungsmüll ist nicht nur in Österreich ein großes Problem. Laut Umweltbundesamt fielen im Jahr 2012 in Deutschland 16,6 Millionen Tonnen Verpackungen an. Der Anteil an Verpackungen aus Kunststoffen betrug immerhin 2,8 Millionen Tonnen. Der größte Teil mit etwa 7,3 Millionen Tonnen entfiel auf Papier, Pappe oder Karton. Natürlich gibt es heute viele unterschiedliche Verfahren, um Verpackungen einer Wiederverwertung zuzuführen, doch das bedeutet immer einen hohen Einsatz von Energie. Um diese Energieverschwendung zu minimieren, muss der Verpackungsmüll minimiert werden. Nachdem Andrea Lunzer begriffen hatte, dass zukunftsfähige Verpackung in erster Linie durch Vermeidung entsteht, wurde ihr klar, dass sie derart radikale Veränderungen selbst in die Hand nehmen musste. Sie plante einen Supermarkt, in dem es keine einzige Verpackung mehr geben sollte. Ihr Vorbild dabei war Catherine Conway, die in London bereits 2007 ein Geschäft namens Unpackaged eröffnet hatte. Andrea Lunzers Großmütter waren von ihrer Geschäftsidee übrigens ziemlich unbeeindruckt. Beide waren in ihrer Jugend nur mit einem Korb ausgestattet zum Einkaufen gegangen. In Plastikfolie eingeschweißtes Obst oder Gemüse auf Styroporunterlagen gab es nicht. Wurde Milch beim Bauern oder aus dem Kühlhaus geholt, hatte man seine Milchkanne dabei. Andrea Lunzers Idee mag nicht neu sein, doch ist sie in der heutigen Zeit schon wieder revolutionär, vor allem weil Lunzer genau wie Potts Dawson Bekanntem Neues hinzugefügt hat. Anfang 2014 eröffnete sie in Wien die Maß-Greißlerei. Alle Produkte sind zu 100 Prozent bio und zu 100 Prozent verpackungsfrei. Die Kunden haben drei Möglichkeiten: Sie bringen ein Gefäß mit, sie kaufen in der Greißlerei ein wiederverwertbares Glas, oder sie nutzen eine der kostenlos angebotenen Papiertüten. Die im Laden erhältlichen Produkte werden hauptsächlich bei regionalen Landwirten und kleinen Produzenten direkt eingekauft. Außerdem gibt es in dem Supermarkt ein Kaffeehaus - schließlich befinden wir uns in Wien! Hier werden in Kooperation mit dem Wiener Caterer Iss mich! Mahlzeiten angeboten. Dafür wird Gemüse verwendet, das normalerweise erst gar nicht in den Handel kommt, weil es zu groß, zu klein oder verformt ist oder bei der Ernte beschädigt wurde. Durch die Verwertung in Mahlzeiten wird ein nicht unerheblicher Beitrag zur Reduktion von Lebensmittelabfällen geleistet. Auch Iss mich! verwendet ausschließlich Pfandbehälter, um Verpackungsmüll zu reduzieren. Das Gesamtkonzept hat Andrea Lunzer 2014 den Umweltpreis der Stadt Wien eingebracht. Ein Grund für die Jury, den renommierten Preis an die Maß-Greißlerei zu vergeben, war die Vorbildwirkung. Denn die Idee ist doppelt gut: Weniger Verpackung bedeutet weniger Abfall, und der bewusste Einkauf "nach eigenem Maß" hilft, Lebensmittelabfälle zu vermeiden. 2015 wurde das Konzept von Iss mich! ebenfalls mit dem Umweltpreis belohnt. Ist die Zeit reif für eine gute Idee, setzt sie sich oft parallel an verschiedenen Stellen durch. So gibt es mittlerweile in Berlin Original unverpackt, in Kiel Unverpackt-Kiel, in Bonn Freikost und in Zürich den Bächser Mart. Und es geht weiter: In Hohenems, Dresden oder Innsbruck sind - finanziert durch Crowdfunding-Aktionen - bereits neue Märkte entstanden, die dem Verpackungswahnsinn ebenfalls ein Ende bereiten wollen. In einem Blog-Beitrag der Original-unverpackt-Gründerin Milena Glimbovski ist zu lesen:

"Das Rad wurde genau ein Mal erfunden. Danach musste man es nicht mehr neu erfinden - nur optimieren. Und das haben wir auch getan. Wir haben etwas Vorhandenes genommen und es unseren Bedürfnissen angepasst. Es rollt auch noch nicht ganz perfekt, es hapert an der einen oder anderen Stelle. Manchmal bleibt es stehen, und dann geht's doch wieder vorwärts - irgendwie. Bei uns zu Hause konnten wir den Müll zu fast 100 Prozent reduzieren, und auch auf unserer Lieferkette haben wir diesbezüglich viel erreicht, wenn auch noch nicht komplett - aber wir sind dran. Dabei waren wir nicht die Ersten, und wir werden auch nicht die Letzten sein. Die unverpackte Revolution ist in vollem Gange und wird immer wieder neu und ebenso vielfältig interpretiert."

Arthur Potts Dawson, Andrea Lunzer und die anderen Gründer und Gründerinnen der Unverpackt-Supermärkte sind natürlich auch Unternehmer geworden, um Geld zu verdienen. Schließlich müssen sie sich und ihre Kinder ernähren, möchten in Urlaub fahren und so weiter. Aber das Geld allein steht für sie nicht im Vordergrund. Sie wollen dem, was sie in Zukunft tun, einen Sinn geben. Sie können sich mit dem, was sie tun, zu 100 Prozent identifizieren und sind davon überzeugt, etwas verändern zu können. Keiner von ihnen will die Welt alleine retten; wir haben es hier nicht mit hoffnungslosen Träumern zu tun. Aber sie setzen ihre Fähigkeiten ein, um die Welt ein wenig besser zu machen. Dabei lassen sie sich nicht durch Widrigkeiten abschrecken oder entmutigen. Funktioniert ein Weg nicht optimal, wird ein neuer ausprobiert, so lange, bis es geht. Aber das Wichtigste ist: Sie haben einfach irgendwo angefangen. Arthur Potts Dawson hätte ein Restaurant aufmachen können, wie andere Köche es bereits massenhaft getan haben. Ohne sich Gedanken darüber zu machen, woher die verarbeiteten Lebensmittel kommen und wohin sie gehen oder wie viel Energie für den gesamten Lebenszyklus einer Kartoffel verbraucht wird. Andrea Lunzer hätte sich damit begnügen können, eine Verpackung, die nicht recycelbar ist, durch eine Verpackung zu ersetzen, die etwas besser zu recyceln ist. Beide hätten wie so viele sagen können, was soll's, machen doch alle so, und ich alleine kann ja ohnehin nichts verändern. Seien wir ehrlich: Wie viele Lebensmittel schmeißen wir täglich weg, ohne darüber nachzudenken? Wie viel Verpackungsmüll generieren wir Tag für Tag, ohne uns den Kopf darüber zu zerbrechen? Gut, hin und wieder nagt das schlechte Gewissen an uns. Mit Sicherheit versuchen wir auch immer wieder, weniger Müll zu verursachen und nicht ganz so häufig verdorbene Milch wegzuschütten. Beide, Potts Dawson wie auch Lunzer, packten das Problem an der Wurzel. Sie gingen ein hohes Risiko ein, brachen Regeln und stellten neue auf, um das Problem der Verschwendung nicht nur für sich selbst zu lösen, sondern auch anderen Menschen eine Vision davon zu geben, was möglich ist. Sie suchten dort eine Lösung, wo andere den Kopf in den Sand stecken und lieber alles so lassen, wie es ist.

Ist Zukunftsangst nicht berechtigt?

In der Zeit, in der Potts Dawson und Lunzer ihre Unternehmen gründeten, gab es viele Gründe, das besser nicht zu tun. In den letzten acht Jahren gab es eine wirtschaftliche Krise nach der anderen. Egal, wo wir heute stehen, diese Zeit hat in unseren Köpfen das Bild manifestiert, dass alles immer schlimmer wird. Besonders seit der Finanzkrise 2008 und der nachfolgenden Schulden-, Länder- und Währungskrise rund um den Euro seit 2011 verstärkt sich bei vielen Menschen die Angst vor Armut und Arbeitslosigkeit. Wirtschaftsinstitute schätzen, dass seit September 2008 weltweit über 20 Millionen Arbeitsplätze verloren gegangen sind. Plötzlich haben Arbeitslosigkeit und damit einhergehende Armut ein neues Gesicht: Es kann jeden treffen!

Weitere Infos

Art:
eBook
Sprache:
deutsch
Umfang:
262 Seiten
ISBN:
9783593434704
Erschienen:
Oktober 2016
Verlag:
Campus Verlag GmbH
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