Rezension

Ab der Mitte mitreißend

Heartland - Joey Goebel

Heartland
von Joey Goebel

Bewertet mit 4 Sternen

In Heartland von Joey Goebel möchte der Präsident eines Tabakkonzerns John Mapother seinem jüngeren Bruder Blue Gene nach jahrelanger Funkstille wieder näherkommen. Natürlich ist nicht nur die Liebe zu diesem der Grund für seine Bemühungen. Er möchte Kongressabgeordneter werden, aus den Beziehungen Blue Genes zur Arbeiterklasse für sich Vorteile ziehen und Wählerstimmen gewinnen.

Trotz eines riesigen Erbes im Wert von mehreren Hundertmillionen Dollar lebt Blue Gene Mapother ein einfaches Leben - er hat bei Walmart und auf einem Flohmarkt gearbeitet, als sein Bruder ihn bittet, in seinem Wahlkampfteam mitzumachen. Durch scheinbar ähnliche politische Ansichten kommt sich die Familie also näher, bis ein neuer Mensch in das Leben des schwarzen Schafs der Familie tritt. Die Punkrockerin Jackie Stepchild ist das krasse Gegenteil der Mapothers: Sie möchte sich für die (einkommens-) schwächeren Menschen einsetzen und ist gegen die militärische Einmischung der USA in anderen Ländern. Zunächst trifft sie bei Blue Gene damit auf Unverständnis und Ablehnung, wenn auch auf ein wenig Neugier. 

Doch es ist ein lang gehütetes Geheimnis, das Blue Genes Leben auf den Kopf stellt. Offenbar ist seine Familie nicht das, was sie bisher vorgab zu sein - was zu einem erneuten Zerwürfnis zwischen ihm und den übrigen Mapothers führt. Er beginnt seine bisherigen Ansichten zu überdenken und eröffnet gemeinsam mit Jackie das Commonwealth-Center, ein Treffpunkt für die Bewohner des Bezirks, in dem es u. a. kostenlose Verpflegung und Unterkunft gibt. Gerade, als auch unentgeltliche medizinische Versorgung hinzukommen soll, wird das Center von der Polizei geschlossen - angeblich, weil es zu häufigen Beschwerden und kriminellen Aktivitäten kam. Wohlwissend, dass Genes Familie dahintersteckt, arbeiten sie an einer Lösung zur Wiedereröffnung.

 

Etwas mehr als die ersten 40% des Buches habe ich als ziemlich anstrengend empfunden. Es wird die Hauptfigur vorgestellt, sowie deren seeeeehr konservative patriotische Familie. Dabei verzichtet der Autor nicht auf klischeehaft amerikanische Parolen wie: "Ohne Männer wie ihn, die da drüben kämpfen, würden sie alle rüberkommen und uns hier auf unserer Heimaterde angreifen" (s. S. 133), "[...] sicherzustellen, dass der Feind die amerikanische Lebensart nicht zerstörte" (s. S. 178), "Werte wie Glaube und Freiheit, ebenjene Werte, die unsere Feinde beseitigen wollen"(s. S. 183), "[...] dass wir in den Augen eines allwissenden Gottes wirklich und wahrhaftig recht haben, [...]" (s. S. 186). Ich war wirklich dankbar, als zwischendurch angedeutet wurde, dass bald ein Gegengewicht vorgestellt werden würde.

Wenn das endlich passiert, scheint die ganze Geschichte an Geschwindigkeit zu gewinnen. Nacheinander wird fast jeder Charakter durch die jeweiligen Umstände zu einer Veränderung gezwungen. Sogar Elizabeth Mapother, die Mutter von John und Blue Gene, überdenkt ihr Lebenskonzept und beginnt, für ihren jüngsten Sohn zu arbeiten. John, die nervlich abgewrackte Marionette seines erfolgreichen Vaters, muss erst mit dem Schlimmsten konfrontiert werden, um zu versprechen, seinen bisherigen Maximen abzuschwören. Ob er diese Versprechen einhält, bleibt, wie ich finde, offen. Meiner Meinung nach ist ihm die Anerkennung seines Vaters zu wichtig, als dass er seine neuen Absichten tatsächlich umsetzen würde. Wie vielleicht gerade auffällt, lernt man die Charaktere, ihre Vergangenheit und Absichten recht gut kennen. Dies führte bei mir dazu, dass ich ab und zu hin- und hergerissen war zwischen Abscheu und Mitleid. 

Heartland bietet einen Einblick in die Gedankenwelt des typischen Amerikaners, wenn  John Kornblum recht hat und unter Amerikanern nicht die Solidarität herrscht wie unter Europäern (ich meine, das zufällig mal in einer Fernsehsendung gehört zu haben...). Daher wirkt vieles, was im Buch gesagt wird - übrigens egal, ob von Reichen oder Bettelarmen - sehr befremdlich auf mich. Es entsteht trotz der regelmäßigen Verwendung o. g. Parolen jedoch nicht der Eindruck, einer Gehirnwäsche unterzogen zu werden. 

Grundsätzlich mag ich die Geschichte und den Schreibstil. Der Anfang ist durch seine Ausführlichkeit jedoch ziemlich schleppend und, wie schon erwähnt, anstrengend. Ab der Mitte des Buches wird es spannender, sodass ich stellenweise mehr gelesen habe, als mir klar war. Was ich damit sagen will? Ich liebe das Drama und Hin- und Her der zweiten Hälfte und nehme den zähen Start -  wohlwollend - in Kauf.