Rezension

“Adressat Unbekannt” ist zeitlos und immer brandaktuell

Adressat Unbekannt - Katherine Kressmann-Taylor

Adressat Unbekannt, 1 Audio-CD
von Kathrine Kressmann Taylor

Bewertet mit 5 Sternen

Nur ca. 80 Minuten Länge hat das Hörbuch “Adressat Unbekannt” und trotz der Kürze ist es eines der bewegendsten Hörbücher, welches ich je gehört habe.

Die Autorin Kathrine Kressmann Taylor veröffentlichte diese Novelle in Briefform erstmals 1938, welche jedoch erst Jahrzehnte später in Europa bekannt wurde. Dann geriet sie über 60 Jahre in Vergessenheit, um nun endlich wieder erhört zu werden: Der ZYX- Hörbuchverlag hat ein berührendes literarisches Meisterwerk mit zwei fantastischen Sprechern vertont. Matthias Brandt übernahm die Rolle des jüdischen Galeristen Max Eisenstein aus San Francisco, welcher im stetigen Briefwechsel mit seinem deutschen Freund und Geschäftspartner Martin Schulse – gesprochen von Stephan Schad – zwischen den Jahren 1932 und 1934 war.

Anfänglich ist es völlig überwältigend, von so einer großartigen Männerfreundschaft zu erfahren, welche die beiden miteinander verbindet. In ihrer Korrespondenz tauschen sie sich darüber aus, wie sehr die Heimkehr von Martin und seiner Familie nach Deutschland seinen Freund Max traurig stimmt. Denn dieser muss nun die Geschäfte der gemeinsamen Galerie in San Francisco weiter führen und als Junggeselle fehlt ihm gerade an den Sonntagen die gemeinsame Zeit mit seinen Freunden, der Familie Schulse.

Martin berichtet, dass er mit dem Geld aus Amerika ein gutes Leben in Deutschland führen kann. Er lebt sogar vergleichsweise in Saus und Braus. Währenddessen kommen Max erste Gerüchte über einen gewissen Hitler zu Ohren und er bittet seinen Freund, ihm unbedingt von den Geschehnissen aus Deutschland im nächsten Brief zu erzählen.

Von da ab kippt die Stimmung merklich, als Martin völlig begeistert von den Ideen Hitlers schreibt. Er finde, es sei an der Zeit, dass es den Deutschen endlich wieder besser gehen sollte. Patriotismus ist gefragt. Und das Max nicht sein Freund geworden ist, weil er Jude ist sondern trotzdem dass er Jude ist!

Brief für Brief wird klar, dass aus zwei engen Freunden Fremde geworden sind. Und auch wenn Max immer die Hoffnung hatte, dass Martin nur nach außen hin den Nationalsozialisten spielt, wird ihm das wahre Wesen seines ehemaligen besten Freundes an dem Tag bewusst, als er ganz salopp folgendes per Brief erfährt: Martin müsse ihm mitteilen, dass er Maxes Schwester nicht hatte vor den SS-Leuten retten können, denn schließlich könne er einer Jüdin nicht Unterschlupf gewähren. Sie sei außerdem selbst dran Schuld, als Jüdin nach Deutschland gekommen zu sein. Usw.

Max ist geschockt, in tiefer Trauer. Und in seinem Kopf nimmt ein Racheplan Formen an…

Mein Fazit
Ein Hörbuch voller Hochs und Tiefs. Es ist erschreckend, wie ein Mensch seine Überzeugungen und Ideale so skrupellos über Bord werfen kann. Ob das für viele zutraf, die von Propaganda eingelullt wurden? Kann man den Verstand einfach abschalten? Das Herz versteinern lassen? Die Augen verschließen und nichts hören wollen, von dem was um einen geschieht?
Was noch wichtiger ist: kann so etwas heutzutage wieder geschehen?
“Adressat Unbekannt” ist zeitlos und immer brandaktuell. Es ist es wert gehört, gelesen und vor allem besprochen zu werden!

Meine Bewertung – 5 von 5 Sterne