Rezension

Amerika von unen

Hotel Amerika -

Hotel Amerika
von Maria Leitner

Bewertet mit 4 Sternen

Maria Leitner ist eine der "vergessenen" Autorinnen der Weimarer Republik. "Hotel Amerika" gehörte bereits im Frühsommer 1933 zu den Büchern, die von den Nazis verbrannt wurden. Jetzt wurde der Roman von 1930 von Reclam in der Klassikerinnen-Reihe neu aufgelegt.

Wir verbringen einen Tag in einem New Yorker Luxushotel, jedoch nicht als Gast, sondern als jemand aus dem Heer der kleinen Arbeiter und Arbeiterinnen. Während für eine Millionärs-Hochzeit ein ganzer Dschungel mitsamt importierten Schmetterlingspuppen arrangiert wird, hetzt ein Fahrstuhlführer seinem Fahrstuhl nach, der sich verselbständig hat. Weil den Zimmermädchen abends die Kraft fehlt, auch noch ihre eigenen Zimmer zu reinigen, liefern sich Staubflocken und Ungeziefer dort ein Wettrennen zwischen den ausrangierten Betten und Matratzen. Genau in der Mitte des Romans ist auch der halbe Tag vorbei und in der Kantine der Angestellten wird der "Kartoffelaufstand" geprobt. Es gelingt jedoch, die Aufsässigen zu zerstreuen, bis auf die Wäscherin Shirley, die meint, nichts mehr zu verlieren zu haben, da das große Geld und ein Verehrer auf sie warten. Sie schätzt die Dinge jedoch ebenso falsch ein, wie das mittlere Management des Hotels, denn der Keim des Widerstands ist gesät.

Zunächst hat mich die detaillierte Beschreibung des Arbeitsalltages der verschiedenen Hotelbereiche (Wäscherei, Küche etc.) stark beeindruckt und meine Annahme hat sich im Nachwort bestätigt, dass nämlich die Autorin diese Szenen mit eigenen Erfahrungen gefüllt hat. 1925 ging sie für drei Jahre nach Amerika und arbeitete dort in ca. 80 verschiedenen unskilled jobs, also Jobs, für die sie keine Qualifikation benötigte, sondern sich sie erst während des arbeitens aneignete. Ebensolche Arbeiten werden auch im Hotel verrichtet. So wird Fritz durch die Großküche weitergereicht, bis er dort ankommt, wo er am besten hinpasst. Wenn ich mich recht erinnere, war das die Kartoffelschälmaschine. Besonders faszinierend: Maria Leitner hatte keine Absicherung durch den Verlag, für den sie als "Undercover-Sozialreporterin" (S. 242) unterwegs war, sie war in Amerika (New York, Alabama, Florida etc.) auf sich selbst gestellt.

Die Sprache des Romans hat für mich den Lesefluss zu Beginn gehemmt. So wird immer von Herr, Frau und Fräulein gesprochen und nicht von Mr. und Mrs. Einige für uns völlig geläufige Begriffe werden "übersetzt", so steht statt Greenhorn im Text Grünhorn, während der Begriff Union (für Gewerkschaft) bestehen bleibt. Das hatte für mich keine Kontinuität, aber möglicherweise war das beim Erscheinen des Romans anders.

Der Roman lebt nicht von seiner Story, sondern von dem Blick von unten, vom Anprangern der Ungerechtigkeit. Dies wird überdeutlich durch die Gegenüberstellung des verschwenderischen Luxus' für die Hochzeit und den Zuständen in den Schlafräumen und Kantinen der Angestellten.  Eindrucksvoll ist die schiere Ohnmacht der Gäste, als das Personal nach dem mittäglichen Kartoffelaufstand eine halbe Stunde auf sich warten läßt. Da ist niemand in der Lage, selbst nach einer Zeitschrift zu suchen oder ein Kleidungsstück aufzuheben. Als es am Abend zu einem weiteren Aufstand eines Teils der Angestellten kommt, wendet sich das Blatt und plötzlich wird deutlich, wie wichtig die kleinen Räder im Getriebe sind und was man gemeinsam erreichen kann.

Besser als im Nachwort kann man den Roman nicht zusammenfassen: "Unter seiner schlichten Oberfläche" gehe es um Probleme, "die nichts an Aktualität verloren haben", es gehe "um nichts weniger als den Umgang mit Differenz und die Möglichkeiten gemeinsamen politischen Handelns." (S. 248) Insgesamt ist das Nachwort eine absolute Bereicherung für diesen Roman, auch um sich über das tragische Leben der mir bisher völlig unbekannten Autorin ein zumindest kleines Bild zu machen.

Hervorzuheben ist die wirklich schöne Aufmachung des Buches, mit passender Schrifttype auf dem Cover, Goldprägung und Lesebändchen. Jede Kapitelüberschrift und auch die Seitenzahlen werden von kleinen Ornamenten im Art Deco-Stil begleitet. Das sind liebevolle Details und die kann man ruhig mal erwähnen.