Rezension

Anatomie der Schuld // Jefferson Bass

Anatomie der Schuld
von Jefferson Bass

Bewertet mit 3 Sternen

Wenn auf einem Buch draufsteht: „Achtung Kathy Reichs, hier kommt der neue Sherlock Holmes der Knochen“, dann weckt das schon einmal meine Neugierde. Denn spätestens seit Simon Beckett und seinem Knochendetektiv Hunter fliegt alle Welt auf Anthropologen und dergleichen. Und wer Patricia Cornwell und ihre Werke kennt, der kann auch etwas mit dem Begriff „Body Farm“ anwenden. Und Jefferson Bass greift eben dieses Thema auf.

Dr. Bill Brockton ist nicht nur Anthropologe und Dozent an der hiesigen Universität, sondern auch Schaffer der Body Farm. Auf einem umzäunten, riesigen Grundstück der Universität von Tennessee werden Leichen abgelegt, vergraben, aufgehängt oder sonst verwahrt, um ihren Zerfall beobachten und dokumentieren zu können. Neben all diesen Tätigkeiten wird Brockton immer mal wieder von der Polizei um Mithilfe gebeten. Aktuell hilft er dem Sheriff von Cooke County, einem abgelegenen Stückchen Erde, wo noch ganz eigene Gesetze zu gelten scheinen.

In einer Höhle findet der Sheriff und sein Gehilfe eine mumifizierte Leiche. Brockton untersucht die Frau und stellt fest, dass diese dort bereits seit mehreren Jahren liegt. Darüber hinaus war die Frau auch schwanger. Doch als der Forensiker die Leiche und den Tatort näher in Augenschein nehmen will, schlägt ihm von allen Seiten Misstrauen und Missbilligung entgegen. Die eingeschworene Gemeinde in Cooke County scheint gar nicht zu wollen, dass der Mörder gefunden wird. Allen voran die Polizei in dem Örtchen…

Im Großen und Ganzen hörte sich das doch alles recht spannend an. Ein abgelegenes Stück Land mit ganz eigenen Regeln, eine mumifizierte Leiche, ein Forensiker und das große Rätsel. Da habe ich schon einiges erwartet. Leider entpuppt sich Anatomie der Schuld sehr schnell als 08/15-Thriller. Etwas außergewöhnliches oder neues sucht man hier vergeblich.

Sehr enttäuscht war ich vor allem von der mangelnden Umsetzung des außergewöhnlichen Settings. In welchem Thriller hat man denn schon ein ganzes Areal, auf dem man Leichen ablegen und erforschen kann? Doch bis auf Randbemerkungen spielt eben diese Body Farm kaum eine Rolle. Da wäre doch soviel drin gewesen.

Gerne mochte ich allerdings Bill Brockton himself. Er ist endlich einmal normal. Thrillerautoren neigen gern dazu, ihrem Protagonisten eine unglaublich brutale und herzergreifende Hintergrundgeschichte aufzudrücken, was meiner Meinung nach auch oft in die Hose geht. Dagegen ist Brockton so herrlich normal. Gut auch bei ihm wurde eine verstorbene Ehefrau eingebaut, um etwas die Tränendrüsen des Lesers anzukurbeln. Aber eine Ehefrau am Krebs zu verlieren ist immerhin wahrscheinlicher, als einem Serienmörder davon zu kommen oder ähnlichem. Und der Gute hat auch Fehler, was ihn mir nur noch sympathischer machte. Er war einfach sehr menschlich.

Die Idee hinter dem Buch ist an sich auch gar nicht schlecht gewählt. Kritisieren muss man allerdings, dass sich das Buch zu Mitte hin zieht wie Kaugummi. Anfangs kam die Story recht schnell in Fahrt. Es war spannend, prickelnd und die Geschichte wurde richtig vorangetrieben. Und plötzlich sackt einem der Boden weg. Nichts passiert mehr, die Erzählung tritt auf der Stelle und ich war mehr als einmal versucht, die Seiten nur noch zu Überfliegen.

Kurzfristig hatte ich wirklich den Gedanken, ob das Buch vielleicht von zwei Autoren geschrieben wurde. Diese Langatmigkeit in der Mitte konnte ich einfach nicht mit dem spanennden und actionreichen Einstieg in Einklang bringen. Es war ein ganz anderen Schreibstil mit ganz anderen Schwerpunkten. Doch zum Schluss hin wurde es dann nochmal richtig rasant und plötzlich sah man wieder Licht am Ende des Tunnels. Ganz unerwartet nimmt die Geschichte richtig Tempo auf. Da hat sich Jefferson Bass dann doch nochmal den einen oder anderen Kniff einfallen lassen. Denn die Wendung kam doch (selbst für mich als eingefleischten Thriller-Leserin) wirklich plötzlich…

Anatomie der Schuld hat seine Höhen und Tiefen. Richtiges Potenzial konnte man zu Beginn und zum Schluss des Buches durchaus erkennen. Aber der größte Teil in der Mitte war leider nur durchschnittlich und hob sich nicht wirklich von vergleichbaren Büchern dieser Art ab. Dabei konnte man schon erkennen, dass Bass nicht ganz untalentiert ist. Er schuf für seinen Protagonisten ein einzigartiges Setting, das es hätte zu nutzen gegolten. Da hoff ich nun einfach mal auf Teil 2 der Reihe.

 

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