Rezension

And I still got the Blues...

White Tears - Hari Kunzru

White Tears
von Hari Kunzru

„White Tears“, der neue Roman des britischen Autors Hari Kunzru (in der Übersetzung von Nicolai von Schweder-Schreiner bei Liebeskind erschienen), der aktuell in New York lebt und arbeitet, kreist um Musik, speziell um ein Genre, das amerikanischer nicht sein könnte. Es ist der Blues, diese schwarze Musikform, geboren aus dem Leid der Unterdrückten. Später variiert und vereinnahmt von weißen Interpreten, die glauben machen, sie hätten ihn zur Perfektion gebracht.

Seth und Carter kennen sich seit Collegezeiten. Carter kommt aus reichem Haus und verfügt offenbar über unerschöpfliche finanzielle Mittel, Seth dagegen ist immer knapp mit dem Geld und oft auf die Hilfe seines Freundes angewiesen. Speziell dann, wenn es um das Equipment für ihre gemeinsame Obsession, die Musik, geht. Denn die beiden Hipster betreiben ein Studio. Es sind die Töne, um die ihrer Leben kreist. Seth sammelt die verschiedensten Geräusche bei seinen Streifzügen durch die Straßen der Metropole, die die beiden dann bearbeiten und samplen. Als er zufällig im Park das Fragment eines Bluessongs aufnimmt, kann er nicht ahnen, welch verhängnisvolle Ereignisse er damit in Gang setzen wird.

Wie die amerikanische Gesellschaft seit Jahrhunderten auf Ausbeutung und Unterdrückung basiert, hat bereits Ta-Nehisi Coates in „Zwischen mir und der Welt“ eindrucksvoll beschrieben. Und bis heute hat sich daran nichts geändert. Bestes Beispiel dafür ist Seths Kumpel Carter, der zukünftige Erbe eines Firmenimperiums. Er glaubt, dass seine Liebe zum Blues ihm die Legitimation verleiht, sich eine schwarze Identität zulegen zu können. Naiv wie er ist, glaubt er sich über seine Faszination vom Blues, eine schwarze Identität aneignen zu können, ohne die Konsequenzen zu bedenken. Er treibt es auf die Spitze, bis er schließlich mit dem Horror der Vergangenheit konfrontiert wird.

Hari Kunzrus neuer Roman „White Tears“ verweigert sich der eindeutigen Zuordnung zu einem bestimmten literarischen Genre. Er bewegt sich in Grenzbereichen, ist zeitgeistig, rätselhaft, radikal, innovativ und doch auch höchst politisch. Wie der Autor den Bogen zwischen dem Gestern und dem Heute schlägt ist ungewöhnlich und virtuos, verleiht dem Buch eine ganz eigene Stimme und lässt den Leser beeindruckt, aber auch verstört zurück.