Rezension

Anders, bewegend und poetisch

Extremely Loud & Incredibly Close - Jonathan Safran Foer

Extremely Loud & Incredibly Close
von Jonathan Safran Foer

Bewertet mit 4.5 Sternen

Normalerweise lese ich Bücher eigentlich nicht auf englisch – obwohl ich des Englischen mächtig bin – da ich deutsche Lektüre, obwohl eine Übersetzung oft verfälscht, immer als atmosphörischer empfinde. Zudem lassen sich englische Bücher nicht so gut lesen. Also ich meine im praktischen Sinne: Es gelingt mir nie, ein englisches Taschenbuch zu lesen, ohne den Rücken zu brechen und das mag ich gar nicht! Da lobe ich mir die deutsche Buchbindeweise. Dieses Buch jedoch wurde mir von einer lieben Kollegin empfohlen und ausgeliehen.

Gleich zu Beginn der Lektüre wurde mir klar, dass dieses Buch anders ist. Hier erzählt Oskar Schell seine Geschichte und da er erst neun Jahre alt ist, hält er sich zumeist an eigenartigen Details auf und breitet sie vor dem Leser aus und springt zudem lustig in der zeitlichen Abfolge seiner Erzählung hin und her, gerade so, wie er sich gerade erinnert und es jemandem erzählt. Diese Erzählweise verleiht dem Buch nicht nur einen ungeheuren Charme, sondern auch einen gewissen Grad an Poesie, wie ich finde. So begleitet der Leser Oskar auf seinem Weg das Geheimnis eines Schlüssels zu ergründen, den er in einer unbekannten Vase im Zimmer seines verstorbenen Vaters gefunden hat. Da sein Vater vor seinem Tod Oskar viele Rätsel aufgegeben hat, versteht Oskar das Mysterium des Schlüssels als das letzte Rätsel seines Vaters an ihn. Ergänzt wird Oskars Erzählung durch solche von seiner Großmutter und Briefe seines Großvaters an seinen Vater. Durch diese Sammlung ergibt sich schlussendlich ein gutes Bild über die Familiengeschichte der Schells.
Die Tatsache, dass Oskars Vater bei dem Anschlag am 11. September 2001 ums Leben kam, verleiht diesem Buch eine ziemlich große Portion Tragik, die sich jedoch erst im weiteren Verlauf und gegen Ende des Buches wirklich offenbart. Dies gibt dem Buch Würze, macht es nicht nur tragisch, sondern auch bewegend, da man Oskars Umgang mit dem Tod seines Vaters schon so viele Seiten begleiten durfte. Wie sich die Famliengeschichte letztlich deswegen zusammenfügt, setzt dem ganzen noch einmal eine Schippe drauf. Durch diesen Aufbau – Oskars Suche nach der Lösung des Schlüssels, in der sowohl die Beziehung zum Vater als auch die Beziehung der Großeltern langsam aufgedeckt werden – verleiht dem Buch eine gewisse Sogwirkung. Ich konnte ab einem gewissen Punkt, um den zu überschreiten ich mich erst einmal an den Schreibstil gewöhnen musste, nicht mehr aufhören zu lesen, da ich unbedingt wissen wollte, wie nun alles zusammenhängt und ob Oskar das Schlüssel-Rätsel lösen kann.
Deshalb muss ich im Prinzip sagen, dass mir das Ende, so wie die Stränge zusammenliefen eigentlich ganz gut gefallen hat, aber dennoch hat es mich nicht völlig überzeugt. Zum einen gefiel mir die Auflösung des Rätsels mit dem Schlüssel nicht ganz so gut, ich hätte mir lieber etwas Spektakuläres gewünscht, dennoch kann ich dieser Lösung eine Realitätsnähe nicht absprechen und das wirkt im Prinzip ganz gut, doch macht es die Lektüre rückwirkend irgendwie sinnlos. Zum anderen ist mir nicht ganz klar geworden, was letztlich aus den Großeltern geworden ist. Aber vielleicht habe ich da ja das eine oder andere Detail überlesen.
Dieses Buch lebt von der Beziehung zwischen Vater und Sohn, die auf gewisse Weise besonders ist. Zwar ist sie liebevoll, doch da Oskar ein ganz ungewöhnlicher Junge ist, ist auch die Beziehung zu seinem Vater besonders. Oskar ist auf der einen Seite sehr neugierig, wissensdurstig und intelligent, was ihn bezeiten altklug erscheinen lässt, dies zeigt sich in seinem Einfallsreichtum und in seinem Ungang mit anderen Menschen. Wobei letzteres auch geprägt ist von einer gewissen kindlichen Naivität, denn wie kann sich ein Junge von neun Jahren zu Fuß in einer so großen Stadt wie New York auf die Suche nach dem passenden Schloss für seinen Schlüssel machen und auch noch der Meinung sein, die Lösung zu finden. So geht er mit den Menschen, denen er begegnet erstaunlich offen um, ist sein Lebem doch seit dem Tod seines Vaters geprägt von vielen Dingen, die ihn panisch werden lassen. So ist Oskar ein vielschichtiger Junge, der nicht wirklich wie ein Neunjähriger wirkt, doch das macht das Buch so interessant.
Gut hat mir auch gefallen, dass bestimmte Bilder, die im Text erwähnt werden, auch im Buch abgedruckt sind. So kann der Leser Türknaufe oder fliegende Vögel betrachen. Auch wurde durch ein angepasstes Schriftbild die Kommunikation des Großvaters deutlich. Da er nicht spricht und nur mit Hilfe eines Notizbuches kommuniziert, auf dessen Seite er stets nur einen Satz schreibt, wird auch im Buch manchmal nur einer seiner Sätze pro Seite gedruckt. Solche Dinge mag ich an Büchern sehr, da sie die Lektüre lockerer machen, aber auch plastischer gestalten. Dennoch fand ich manche dieser Bücher überflüssig, doch es wurde zum Glück nicht zu viel des Guten und blieb in einem angemessenen Rahmen.

Fazit: Extremely Loud & Incredibly Close ist ein ganz außergwöhnliches Buch über die Beziehung eines Jungen zu seinem leider am 11. September 2001 verstorbenen Vaters und seiner Familie im Allgemeinen. Die verwendete Sprache, ist zwar die eines inteligenten Neunjährigen, dennoch ist seine Erzählweise auf eine gewisse Weise poetisch. Aufgrund der gesamten Tragik der Familiensituation ist dieses Buch unheimlich bewegend und wird mir sicherlich noch lange im Gedächtnis bleiben.