Rezension

Befindlichkeit trifft auf Fakten

Das sind die Hormone - Nataly Bleuel

Das sind die Hormone
von Nataly Bleuel

Bewertet mit 3.5 Sternen

Die Autorin steigt im Vorwort auf kürzestem Weg ins Thema ein: Sie selbst reagiert in der Konfrontation mit einem Pubertierenden gereizt. Mutter und Jugendlicher müssten sich eigentlich im genervten Gegenüber wiedererkennen können. Diese Erschöpfung kombiniert mit Traurigkeit und einer Prise Euphorie können Betroffene oft selbst nicht ausstehen und leiden daran, ihr ausgeliefert zu sein.

Die Journalistin Nataly Bleuel legt ihr Sachbuch an wie eine Talkshow aus Laien und Experten. In unterschiedlicher Besetzung treffen sich betroffene Gesprächspartner/innen verschiedener Generationen zu einem moderierten Austausch eigener Erfahrungen und Einschätzungen. Die Autorin trägt anschließend Fakten zum Thema bei. Themen der Diskussionen sind weiblicher Hormonzyklus, die Umbruchphasen in Pubertät, Schwangerschaft, Mutterschaft, den Wechseljahren und männliche Hormone.

Die Moderatorin steuert die Gespräche dahin, dass Hormone als Botenstoffe und Informationsträger nicht „schuld“ an Beschwerden sein könnten, dass Interessierte demnach lernen müssen, hormonelle Vorgänge als diffiziles System zu begreifen. „Hormone sind der Teppich“, der unter einem ausgelegt wird. Weil man einen Sündenbock braucht, schiebt man es auf die Hormone. (Seite 159) „Die Hormone“ seien ein soziales Konstrukt, das im Kopf entsteht. In der Summe der Gespräche wird deutlich, wie stark unsere Entscheidungen und Einstellungen beeinflusst werden vom vorherrschenden Bild zu einem Thema, von dem, was darüber so geredet wird. Das aktuelle Image eines Sachthemas steuert häufig Entscheidungen, Fakten oder Risikoabwägung können dagegen in den Hintergrund treten. Die Botschaft des Buches lautet: nichts ist monokausal. Daraus folgt, dass es gegen körperliche Beschwerden keine Patenrezepte geben kann.

Die Zusammensetzung der Gesprächsrunden bildet unterschiedliche Lebensphasen ab, wie auch Einstellungen verschiedener Generationen. So wird deutlich, dass eine Generation, die Zyklus-Apps nutzt, eher zwischen populärer Annahme und Fakten differenzieren kann als frühere Generationen. Eine Zyklus-App könnte theoretisch auch zeigen, dass eine Frau nicht unter PMS leidet und ihre Gereiztheit vor der Menstruation andere Gründe haben kann.

In „Das sind die Hormone“ dominieren Frauenthemen, das sehr kurze Kapitel über verantwortlich Kinder betreuende Väter und ihren Hormonhaushalt macht allerdings neugierig, wie sich das Image des Themas durch gesellschaftliche Veränderungen weiter entwickeln wird.

Die Talkshow-Struktur des Buches lässt vielfältige Stimmen zu Wort kommen. Der Tenor der Gespräche war mir jedoch teils zu populistisch und verallgemeinernd, während in den Abschnitten zur Sache Fakten, Fachbegriffe und Zusammenhänge m. A. nach im Layout deutlicher hervorgehoben werden sollten.