Rezension

Begegnungen und Verfehlungen

Direkter Zugang zum Strand - Jean-Philippe Blondel

Direkter Zugang zum Strand
von Jean-Philippe Blondel

Bewertet mit 3 Sternen

Verbringt man seinen Urlaub eine Zeit lang am Strand, entsteht dort schnell ein kleiner Kosmos mit wiederkehrenden Figuren. Man sieht die gleichen Kinder im Sand spielen und hört das gleiche Paar lautstark streiten. So ähnlich fühlte ich mich bei der Lektüre dieses Romans. Der erste, der die Bühne betritt, ist der kleine Philippe, der mit seiner Familie jeden Sommer zwei Wochen in Capbreton verbringt. Statt sich mit seinen Eltern und Natascha, der Freundin der Mutter, zu langweilen, würde er viel lieber wissen, was er im Mickey Mouse Club verpasst.

Wer sich hinter der Figur Natascha verbirgt, erfahren wir im zweiten Kapitel – eine Frau, die eigentlich Danièle Girard heißt, sich gern auftakelt und einen Mann nach dem anderen erobert. Das ist ihre Art, ein tragisches Erlebnis zu verarbeiten. Und so setzt sich der Reigen fort. In jedem Kapitel wird aus einer neuen Perspektive erzählt und wir tauchen in verschiedenste Gedanken, Überzeugungen und Gefühlswelten ein. Der eine liebt die Wellen, der andere wäre viel lieber in den Bergen, ein dritter träumt von der Welt weit hinter dem Atlantik und plant, nach USA zu reisen.

Der Autor versteht es wieder einmal, leicht und luftig Szenerien zu skizzieren und sogar dramatische Umstände in schwerelose Sätze zu verpacken. Manche Episoden gingen mir richtig nahe, zum Beispiel wie eine brave Tochter sich als einzige in der Familie traut, ihrem ungerechten und nervenden Vater Paroli zu bieten.

So formt sich aus den einzelnen Puzzleteilen allmählich ein Gesamtbild. Blondels Idee und Vorgehensweise sind originell, doch ich tat mich schwer, bei den vielen Figuren den Überblick zu behalten. Als dann auch noch ein dreifacher Zeitwechsel ins Spiel kam, musste ich häufig zurückblättern, um die Zusammenhänge zu verstehen. Ich hätte gern gewusst, was jeweils in den übersprungenen zehn Jahren passiert ist und wie und warum sich die Figuren so entwickelt haben. Das gäbe genügend Stoff für weitere Erzählungen.