Rezension

Beklemmende Dystopie

Firestarter -

Firestarter
von Jan Carson

Bewertet mit 4 Sternen

Im brüllend heißen Sommer 2014 werden in Belfast zuerst meterhohe Feuer entzündet; bald darauf brennen gezielt öffentliche Gebäude. Die Stadt steht kurz vor dem wirtschaftlichen Zusammenbruch, weil diese neuen „Troubles“ Touristen aus aller Welt abschrecken. Samuel/Sammy Agnew erinnern die Brände an gewalttätige Übergriffe in seiner kriminellen Jugend vor 30 Jahren. Die aktuelle Lage beunruhigt ihn weitaus stärker; denn er muss vermuten, dass sein Sohn Mark anonym als Figur „Firestarter“ in den sozialen Medien die Brandstiftungen befeuert und als Protestform legitimiert. Als Sammy sich eingesteht, wie stark Marks kaltschnäuzige Aggressivität seiner eigenen Verfassung als Jugendlicher ähnelt, muss er als Vater Verantwortung übernehmen und wendet sich an Dr. Murray vom medizinischen Zentrum des Stadtviertels.

Auch Murray ist Vater; seine Tochter Sophie wurde vor kurzem von einer Art Meerjungfrau bei Murray zurückgelassen. Seitdem beharrt der junge Doktor darauf, dass er unbedingt Sophies Heranwachsen verhindern muss, weil das Baby als Sirene allein mit seiner Stimme Schaden anrichten wird und die Unruhen weiter anstacheln könnte. Murray entzieht sich zunächst seiner Verantwortung, indem er sich selbst als normal einstuft, obwohl seine Eltern ihn als Jugendlichen mit beispielloser Gefühlskälte in Irland zurückließen und ohne ihn auswanderten. In der Frage, ob Anlagen oder äußere Einflüsse den Menschen prägen, würde der Doc vermutlich behaupten: weder noch, er hätte sich aus eigener Kraft entwickelt und wäre mit Sicherheit kein Psychopath. Selbst wenn Murray sich im Studium nie mit der erblichen Disposition zu Aggressivität und Gewalt auseinandergesetzt hätte, müsste seine Fassade angesichts der „Unglückskinder“ in der Stadt allmählich bröckeln. Eine Selbsthilfegruppe von Eltern „besonderer“ Kinder hatte Murray nur kurzen Trost bieten können. Schnell wurde ihm dort klar, dass die herausragenden körperlichen und mentalen Fähigkeiten der Kinder dieser Eltern mit ungewöhnlicher Grausamkeit einhergehen. Sie alle lassen ihre - sehr fordernden - Kinder nicht mehr aus den Augen, weil die kleinen Soziopathen Tiere und Menschen quälen und schwer verletzen werden, sowie sich die Chance bietet.

Während draußen die Stadt Belfast zur Kriegsruine wird, sind unabhängig voneinander zwei Väter entschlossen, die Welt vor ihren gefährlichen Kindern zu schützen. Jan Carson lässt ihre makabre Dystopie zwischen dem Icherzähler Jonathan Murray und dem Blick eines neutralen Erzählers auf Samuel Agnew wechseln. Von der Hoffnung, jemand würde doch bitte den durchgeknallten Doc zu einer Therapie überzeugen, bis zur Neugier, ob sich außerhalb der Elterngruppe jemand Gedanken über die Dispositon zu Gewalt machen würde, bis zu atemlosem Schrecken hat mich der Roman durch einige emotionale Wechselbäder geschleift. Zurück bleibt nach dem Schließen der Datei meine Hochachtung für Jan Carson, die Worte dafür findet, wenn Menschen in einem Zwischenzustand feststecken, den ihre Umwelt beschönigend verleugnet.