Rezension

Bleibt nachhaltig im Gedächtnis

Das zweitbeste Leben - Tayari Jones

Das zweitbeste Leben
von Tayari Jones

„Deine andere Frau und dein anderes Mädchen sind ein Geheimnis?“, fragte ich. (…)

„Nein. Das verstehst du falsch. Dana, du bist ein Geheimnis.“

-

„Liebst du mich denn nicht?“, fragte ich.

„Das hat mit Lieben nichts zu tun“, sagte er. „Du musst jetzt nach Hause. Ich h-h-habe mich entschieden, genau wie du, als du angefangen hast, Ch-Chaurisse zu belästigen. Du hättest fast mein Leben ruiniert.“

Szenen wie diese veranlassen mich, „Das zweitbeste Leben“ von Tayari Jones zu den eindringlichsten Büchern zu zählen, die ich in der letzten Zeit gelesen habe. Das Buch erzählt von der Konkurrenz zwischen zwei Mädchen, die sich nicht einmal persönlich kennen, die Suche nach sich selbst, das Streben nach Anerkennung und Liebe vom Vater, das Leben als dunkelhäutiges Mädchen in Amerika in den 1980er-Jahren, die Diskrepanz zwischen Verstand und Gefühl und darum, immer zurückstecken zu müssen. Und bei all dem ist ein wichtiger Punkt noch gar nicht genannt: Die Autorin schildert vor allem ein sehr kompliziertes Familienverhältnis, das von Grund auf zum Scheitern verurteilt ist. Denn James Witherspoon ist ein Bigamist. Er hat zwei Frauen und mit ihnen zwei Töchter (Dana und Chaurisse) im gleichen Alter. Während Dana von der ersten Familie weiß, ist die Zweitfamilie für Chaurisse und ihre Mutter, wie auch für die Öffentlichkeit, ein großes Geheimnis.

Das Buch besteht aus zwei Teilen. Nacheinander erzählen die Mädchen von ihrer Kindheit, der Geschichte ihrer Eltern und ihrem Platz in der Welt. Während Chaurisse in einer scheinbar intakten Familie aufwächst, kämpft Danas geheime Familie, die nur an einem Tag der Woche existiert, um Anerkennung und wird sich ihrer Zweitrangigkeit immer bewusster. Doch Dana gibt sich mit ihrem Status nicht zufrieden und dringt mit Hartnäckigkeit, aber auch viel Unsicherheit, in das Leben ihrer Halbschwester ein. Die ahnt von allem nichts – bis es zum unausweichlichen Knall kommt.

So unterschiedlich die Werdegänge der Mädchen auch sind, macht die Autorin immer wieder deutlich, dass beide unter dem Verhalten ihrer Eltern zu leiden haben. Nicht nur, weil ab einem gewissen Punkt nichts mehr so ist, wie es zuvor war, sondern vor allem, weil die Eltern nicht zu verstehen scheinen, dass gerade die Kinder die Leidtragenden sind. Der Egoismus der Eltern ist von der Autorin hervorragend dargestellt, sodass sich bei mir die Nackenhaare aufstellten.

Mir sind besonders die Gespräche zwischen dem Vater und seiner jeweiligen Tochter im Gedächtnis geblieben, die verdeutlichen, wie gut oder schlecht es um das Verhältnis bestellt ist. Während Chaurisse offen und ohne Angst mit ihrem Vater reden kann und er seine Tochter liebevoll und stolz Butterblume nennt, tritt Dana ihrem Vater lange Zeit ängstlich und zögernd entgegen. In ihr tobt geradezu ein Gefühlschaos. Die macht sich klein, um bei ihrem Vater nichts falsch zu machen, um nicht zu stören oder ihn nicht respektlos zu behandeln. Andererseits möchte sie von ihm wahrgenommen und gelobt werden, sucht seine Unterstützung und fordert ihn immer wieder heraus, um überhaupt irgendeine Reaktion von ihm zu bekommen. All das beschreibt Tayari Jones eindrucksvoll, glaubhaft und mitreißend, wird dabei aber nie rührselig und mitleidig. Und das macht „Tayari Jones“ zu einem ganz besonderen Buch, das ich klar empfehlen kann. Ich bin gespannt, ob mir ihr erster Roman, „In guten wie in schlechten Tagen“, auch so gut gefallen wird.