Rezension

Das eigene Monster

Monstrosa -

Monstrosa
von Rhea Krcmárová

Bewertet mit 3 Sternen

Die 32-jährige Isabella ist Opernsängerin, der große Erfolg bleibt jedoch bisher aus. Grund hierfür ist nach ihrer Meinung und der der Algemeinheit ihr starkes Übergewicht, denn immer wieder werden dünnere Sängerinnen ihr vorgezogen, da sie 'besser in die Kulisse der Oper passen'. Schon seit ihrer Kindheit kämpft Isabella mit ihrem Gewicht, macht ständig Diäten und nimmt doch nie ab. Weder von ihren Eltern, die sie in Diätcamps schicken, noch von anderen aus ihrem Umfeld bekommt sie irgendeine Art von positivem Zuspruch, sie ist nur Friss-A-Bella. Um ihrer Karriere als Opernsängerin noch eine letzte Chance zu geben, begibt sie sich auf Anraten ihrer Gesangslehrerin, die einzige, die etwas in ihr zu sehen scheint, in eine Klinik für Essstörungen. Dort angekommen stellt sich heraus, dass die Einrichtung eigentlich dabei ist, sie aufzulösen, Ärzte und Krankenschwestern gibt es kaum noch und auch die Patienten bilden nur eine letzte winzige Gruppe. Noch dazu ist Isabelle die einzige Übergewichtige in einer Gruppe aus Anorexie- und Bulemiepatient:innen, was unweigerlich zu Konflikten führt.

Gleich vorweg: Dieses Buch sollte man nicht lesen, wenn man selbst an einer Essstörung o. ä. leidet!

Der Text strotzt nur so vor problematischen und sehr sensiblen Themen wie Bodyshamining, Esstörungen, Selbstverletzung und Suizid aber auch der Missbrauch und die Ausnutzung Schutzbefohlener und Minderjäriger wird zum Thema. Auf einige davon wird zwar ansatzweise aufmerksam gemacht, doch bei weitem nicht deutlich genug und auf dem Buch selbst finden sich (bisher) noch keine Triggerwarnungen. Rhea Krčmářová verschleiert nichts, sehr detailreich beschreibt sie die abgemagerten Körper der Magersüchtigen und den steigenden Hass den Isabella auf ihren Körper hat. Der ermüdende Alltag in der Klinik, bestehend aus Therapiesitzungen und Essensgängen, wird sprachlich immer wieder unterbrochen durch abstruse Diätregeln und Pro-Ana-Mantras, Hass- und Anklage-Schriften der anderen Anorexie- und Bulemiepatientinnen und als krassen Gegensatz dazu die Essens- und Hausregeln der Klinik.

Aufgebaut wie eine Oper in drei Akten schildert Krčmářová in Monstrosa den Alltag in der Klinik. Dabei ist vieles opernhaft übertrieben und dramatisch hervorgehoben und sprachlich sowie literarisch interessant umgesetzt. Die Geschichte steigert sich von Szene zu Szene, von Akt zu Akt, bis alles in einem großen Finale zusammenläuft. Mit jedem Akt schlittern die Patienten dem Wahnsinn etwas mehr entgegen, die Stimmung und Einsamkeit der Klinik wird immer bedrückender. Während die Szenen zu Beginn des Buches noch unserer Welt entspringen, werden die Handlungen immer weniger realistisch, immer magischer. Der Hass der krankhaft untergewichtigen Patient:innen auf Isabella, auf das Monster, die all das verkörpert, was sie verabscheuen, ein Körperbild, dem sie entfliehen wollen, gipfelt in einem dunklen Ritual aus dem Internet: Isabella soll sich in das verwandeln, was sie ist, ein Monster. 

Die Verwandlung - und damit auch der Abschied vom letzten Rest Realität - findet im letzten Akt, dem großen Höhepunkt der Geschcihte statt. Auch sprachlich merkt man diesen Umsprung, Krčmářová passt ihre Erzählweise und Wortwahl dem Sein des Monsters an. Es denkt nicht an andere, es existiert nur für sich selbst, in sich selbst, besteht aus Sehnsüchten und Hunger. Isabella hört auf zu denken, ist einfach nur ein Etwas, unbehelligt von ihrer Umgebung, was in der reduzierten aber aussagekräftige Sprache deutlich wurde.

Am Ende setzt Krčmářová für meinen Geschmack etwas zu sehr auf die Holzhammer-Methode um die Leser mit der klischeehaften Stelle-dich-deinen-inneren-Monstern-Symbolik aus ihrer Geschichte zu entlassen, doch darüber konnte ich hinwegsehen. Literarisch empfinde ich Monstrosa als sehr spannend umgesetzt, der steigende Horror und das Bild der verlassenen Klinik erinnern an die klassischen Horrorgeschichten und auch die Passagen des Monsters gehören zu den stärksten des Buches.

Dennoch bin ich unentschlossen, was eine Empfehlung des Buches angeht. Es mangelt (bisher) an expliziteren Triggerwarnungen, denn nicht nur die Pro-Ana-Mantras sondern auch die abgemagerten Körperbeschreibungen und der fanatische Hungerwahn der anderen Patient:innen, die dafür sogar den eigenen Tod wissend in Kauf nehmen und an absurden Hungerchallenges teilnehmen, waren für mich schwer zu lesen. Ich kann (und will) mir kaum vorstellen, wie sich diese Geschichte für jemanden liest, der auch nur ansatzweise von diesen Themen persönlich betroffen ist oder sich davon angesprochen fühlt.