Rezension

Das Gaunermanifest

Die Regeln des Spiels -

Die Regeln des Spiels
von Colson Whitehead

Bewertet mit 4.5 Sternen

Mit „Crook Manifesto“ (dt. Titel „Die Regeln des Spiels“) legt Colson Whitehead nach „Harlem Shuffle“ den zweiten Teil seiner „Harlem Trilogy“ vor. Somit begegnen wir hier erneut Ray Carney, den wir bereits aus dem Vorgängerroman kennen, ebenso wie andere Figuren, die man schon damals lieben oder hassen gelernt hat. Carney, der sich einige Jahre ganz ohne krumme Geschäfte allein auf sein Möbelgeschäft konzentriert hat, kommt in den 1970ern an und mit dem Beginn des neuen Jahrzehnts wird er auch wieder in die Kriminalität gezogen. Der Auslöser passt zum amüsant-lakonischen Schreibstil Whiteheads: Seine Tochter möchte der The Jackson Five live sehen, die Tickets sind heiß begehrt und schon längst ausverkauft, also muss sich Carney an alte, halbseidene Kontakte wenden, um an die Tickets zu kommen. Dies setzt eine Spirale der Gewalt in Gang, die wir in drei Buchabschnitten mit dem bereits aus „Harlem Shuffle“ bekannten zwei bis drei Jahressprüngen nun miterleben.

Wie schon erwähnt, glänzt auch dieser Roman von Colson Whitehead mit einem großartigen Schreibstil zwischen amüsant-lakonisch, soziologisch-beobachtend und klug-knallharten Feststellungen. Sofort schafft es der Autor uns in das New York, oder spezieller das Harlem, der 1970er Jahre hineinzusaugen. Die Atmosphäre aus dem Versuch der Menschen zum sozialen Aufstieg und der zunehmenden Verwahrlosung des Viertels wird von Zeile eins an greifbar. Während die einen sich durch Korruption und die anderen mithilfe von Brandstiftung und Versicherungsbetrug die Taschen voll schlagen, verarmt die Masse und lebt in heruntergekommenen Häusern mit der ständigen Angst vor Drogen, Kriminalität, dem Abbrennen des eigenen Wohnblocks und der willkürlichen Polizeigewalt. Dazwischen befindet sich Ray Carney und sein väterlicher Freund Pepper. Carney sticht wie schon bekannt durch seine treffsicheren Beobachtungen zur Möbelauswahl an einem Ort des Verbrechens hervor; Pepper durch seine stoische Ruhe und gleichzeitig explosiv auftretende Gewalt. Beide Figuren wachsen der Leserschaft während des Romans richtig ans Herz, man ist voller Empathie, wenn nicht gar Sympathie, für die beiden. Denn Whitehead schafft es, dass niemand eindimensional „gut“ oder „böse“ dargestellt wird. Alle Figuren bewegen sich im Graubereich. Es wird nichts beschönigt und trotzdem merkt man den Figuren ihre Menschlichkeit an. Dies hat der Autor zur wahren Perfektion gebracht.

Inhaltlich erfahren wir unglaublich viel über die Zusammenhänge von städtebaulicher Entwicklung, Korruption,Fehlplanungen und schlechtem Handling durch die gewählten Volksvertreter. So wird ein Stadtviertel der Minderheiten, ebenso wie Teile Brooklyns und der Bronx, abgehängt, vernachlässigt und geht ganz nach dem „Broken Window“-Prinzip den Bach runter. Aber auch ganz dem Buchtitel (sowohl dem Original- als auch dem deutschen Titel) nach geht es darum, mit welchen Regeln das Spiel der Ganoven gespielt wird. So heißt es auf Seite 221:

„Man hatte eine Hierarchie des Verbrechens, des moralisch Akzeptablen und Nichtakzeptablen, ein Gaunermanifest, und wer sich an einen weniger strengen Kodex hielt, war eine Kakerlake. Ein Nichts.“

Und das Prinzip der Kriminalität auf höherer Ebene wird auf Seite 316 kurz und umso eindringlicher festgehalten:

„Nicht auszurottende Bestechung, wie die nicht auszurottende Brandstiftung. Ist es erst einmal in Gang gekommen, hört es nicht mehr auf.“

Fast alle meine Kritikpunkte am Aufbau des Romans haben sich in Luft aufgelöst als ich erfuhr, dass dieser zu einer Trilogie gehört und ein Abschluss der Reihe erst mit dem nächsten Roman von Whitehead zu erwarten ist. Die einzige, minimale Kritik an diesem ansonsten wirklich wie vom Autor gewohnt meisterhaft geschriebenen Roman: Ab und an gibt es kleine Längen im Text. Der Autor zeigt hier die Angewohnheit, häufig recht weit auszuholen und ausufernd zu berichten, wenn er eine Nebenfigur oder ein Szenario mithilfe von Rückblicken beschreibt. Das hat dann letztlich meist alles eine Funktion, trotzdem muss man sich da ein bisschen durchhangeln.

Die Übersetzung von Nikolaus Stingl ist zu Beginn noch an der ein oder anderen Stelle etwas holprig, in der Gesamtheit aber durchaus gelungen.

Somit kann ich die Lektüre des Romans definitiv empfehlen. Es ist allerdings ratsam zunächst „Harlem Shuffle“ zu lesen, da sehr viele Figuren aus diesem Vorgängerroman hier wieder auftauchen und manche Vorgänge als bekannt vorausgesetzt und nur noch einmal kurz umrissen werden.

4,5/5 Sterne