Rezension

Der Kreislauf des Lebens

Speicher 13 - Jon McGregor

Speicher 13
von Jon McGregor

Ein Dorf in Mittelengland. Mitten in Hügeln und Mooren. 13 Reservoire in der Umgebung dienen als Wasserspeicher. In umgebauten Scheunen werden Ferienwohnungen angeboten. Es ist die Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr. Eine Familie verbringt dort ihren Urlaub. Mutter, Vater, Kind. Von einer Wanderung kommen nur die Eltern zurück, das Mädchen ist verschwunden. Rebecca Shaw, 13 Jahre alt. Eine großangelegte Suchaktion wird eingeleitet. Das gesamte Dorf ist auf den Beinen. Ein Hubschrauber fliegt die Gegend ab. Erfolglos, keine Spur von dem vermissten Mädchen.

Soweit die Ausgangslage in Jon McGregors „Speicher 13“. Nun könnte man meinen, dass der englische Autor in seinem 2017 für den Booker Prize nominierten Roman daraus einen Thriller komponiert hat. Weit gefehlt, doch spannend ist die Geschichte, die er zu erzählen hat, allemal, denn er verlagert den Fokus. Weg von dem verschwundenen Kind, hin zu den Bewohnern des Dorfes. Wie geht die Dorfgemeinschaft mit diesem Ereignis um, können sie ihr Leben einfach so weiterleben, als ob nichts geschehen wäre? 13 Jahre in 13 Kapiteln, immer beginnend mit dem Silvester-Feuerwerk, und danach dem Jahreslauf folgend.  Kurzer Exkurs: In der Numerologie steht die Zahl 13 für den Wandel, für Veränderung, für Abschied und Neuanfang, für Loslassen und Festhalten.

Es ist ein stetiger Kreislauf: Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Flora und Fauna. Knospen, Blüten, Verwelken, Vergehen. Vögel bauen Nester, ziehen ihre Jungen groß und fliegen wieder davon. Die Dörfler leben ihren Alltag, Banalitäten. Paare finden und verlieren sich. Kinder werden geboren. Existenzen gehen zu Bruch. Alles ist im stetigen Fluss. Als im Moor ein Kleidungsstück gefunden wird, kommen Erinnerungen an das verschwundene Mädchen wieder an die Oberfläche, aber sie tauchen schon nach kurzer Zeit wieder ab. Andeutungen, die der Autor macht, aber nicht weiterführt. Und so vergeht Jahr um Jahr.

McGregor nutzt eine ungewöhnliche Erzählweise. In kurzen, scheinbar willkürlich aneinandergereihten Sätzen beschreibt er das dörfliche Leben in Bruchstücken. Wörtliche Rede wird nicht kenntlich gemacht. Für den Leser ist dies anfangs verwirrend, ist das Personentableau zu Beginn doch recht unübersichtlich. Mit jeder Seite kommen weitere Informationen hinzu, und so gewinnen die Personen allmählich an Kontur, sodass man mit Interesse ihr Werden verfolgt.

Ein ungewöhnlicher, herausragender Roman, der aber zu Beginn Durchhaltevermögen erfordert. Lassen Sie sich darauf ein – Sie werden es nicht bereuen!