Rezension

Die kurzen und die langen Briefe

Die kurzen und die langen Jahre - Thommie Bayer

Die kurzen und die langen Jahre
von Thommie Bayer

Bewertet mit 4.5 Sternen

Thommie Bayer hat einen neuen Roman geschrieben. Wer bereits andere von ihm kennt, wird nicht verwundert sein, er schreibt wieder über die Liebe, ein, wie er selbst sagt, weltbewegendes Thema. Er schildert sie in vielen Facetten. Brillant erzählt Thommie Bayer vom ungestümen Begehren und der alles in den Schatten stellenden Liebe seines Protagonisten zu Sylvie, die ihn wie einen kleinen Bruder liebt, innig, voller Vertrauen – aber platonisch. Sie sieht ihn als Seelenverwandten. So bleibt Simons große Liebe unerfüllt, andere Partnerinnen müssen diese Lücke schließen – mehr schlecht als recht. Neben der Liebe schlängelt sich wie ein alles verbindender roter Faden die Musik durch die Handlung und Simons Leben, Melodien, die man kennt und sofort im Ohr hat.

Die Geschichte wird von Simon rückblickend aus der Gegenwart in der Ich-Form erzählt. Dabei spielt der Briefwechsel mit Sylvie eine bedeutende Rolle. Durch Sylvies Briefe werden sowohl der weibliche Aspekt als auch eine Art Außensicht auf Simon dargestellt. Im immer sporadischer werdenden Blick auf einzelne Jahre nimmt man am Leben der Hauptfiguren teil, lernt sie kennen, versteht ihr Handeln mal mehr oder mal weniger und bekommt ein Gespür für die Zeit – als Telefone noch Wahlscheiben hatten und das Schreiben von Briefen Normalität war – und kann die Entwicklung der Personen und ihres Umfeldes bis in die Gegenwart verfolgen.

Wer bei diesem Roman eine herkömmliche, seichte Liebesgeschichte erhofft, wird wohl enttäuscht werden. Auch einen Krimi hat der Leser trotz des Mordfalles nicht zu erwarten. „Die kurzen und die langen Jahre“ ist ein sehr gefühlvoller Roman über eine unerwiderte Liebe und das sich selbst Fremdsein in „Ersatzpartnerschaften“. Der Schreibstil Thommie Bayers ist beeindruckend, gefällig und sehr angenehm zu lesen. Mit 202 Seiten verteilt auf 50 Jahre Handlung ist dieser Roman komplex und hält einiges Potential zum Nachdenken und sich selbst Erkennen bereit. Ich empfehle ihn sehr gern weiter.