Rezension

"Die Nase lügt nie" - Wenn ein Spanier über okkulte Serienmorde in Japan schreibt ...

Schatten der schwarzen Sonne - Nicolas Obregon

Schatten der schwarzen Sonne
von Nicolás Obregón

Bewertet mit 3.5 Sternen

Kosuke Iwata kommt nach längerer Arbeitsunfähigkeit zur Kriminalpolizei in Tokio. Studiert hat er in den USA, anschließend als Kriminalpolizist in der Region Kyoto gearbeitet, so dass es nicht verwundert, wenn die großstadterfahrenen Kollegen ihm zunächst reserviert gegenübertreten. Der Schauplatz seines spektakulären ersten Falles ähnelt einem Schlachtfeld, ein Ehepaar koreanischer Herkunft ist mitsamt seinen Kindern ermordet worden. Anschließend hat der Täter noch am Tatort stundenlang im Internet gesurft. Iwata steht sofort im Rampenlicht; denn Anfang des Jahres wurde die Selbstmordstatistik veröffentlicht, die Japan in keinem guten Licht erscheinen lässt. Während die Presse sich aktuell auf das Soap-Opera-Sternchen Mina Fong stürzt, geschieht ein weiterer Mord an der betagten Witwe eines Richters. Signaturen, die der Täter an den Tatorten hinterlassen haben könnte, scheinen auf eine Serie von okkulten Ritualmorden hinzuweisen und auf eine Verbindung zu einer nationalistischen Organisation, die es besonders auf Koreaner abgesehen hat. Gemeinsam mit seiner sehr jungen, sehr forschen Kollegin Sakai sucht Iwata nach Verbindungen zwischen den Opfern – und nach einer Erklärung dafür, warum sein Vorgänger Akashi sich das Leben genommen hat, nachdem sich vor dessen Augen eine Frau in den Tod stürzte. Vielleicht irrt er sich ja, und es gibt keine oder andere Zusammenhänge zwischen den Taten. Eine weitere Spur ergibt sich aus Rückblenden in Iwatas Kindheit, die zugleich seinen ungewöhnlichen Lebenslauf erklären, und aus der Frage, warum speziell ihm als Greenhorn dieser Fall übertragen wurde.

Iwata ist offenbar der typische gesundheitlich angeschlagene Ermittler, auf dessen Schulter wie ein großer, dunkler Vogel eine traumatische Kindheit und ein weiteres Trauma lasten. Der Song-Titel „Blue Light Yokohama“, zugleich der englische Originaltitel des Krimis, zieht sich wie eine melancholische Tonspur durch das Buch. Zusätzlich ist Iwata durch bestimmte Gerüche zu triggern und verliert dann völlig den Faden. Mit der Figur eines Neulings am Arbeitsplatz, der gemobten Quotenfrau Sakai, verlässlichen Berufskontakten von früher und vermuteten Yakuza-Verbindungen arbeitet Obrégon so viele bekannte Versatzstücke ab, dass sein höchst abgedrehter Fall wie aus einem Lehrbuch für Krimiautoren wirkt. Man muss nicht gleich alle Gewürze in die Suppe streuen, ehe man sie probiert hat. Für den Einstiegsband einer geplanten Serie fand ich den Plot überladen mit diversen Themen. Iwatas Arbeitsbedingungen und der Umgangston in seiner Abteilung klingen so, wie sie sich Nicht-Asiaten vorstellen könnten, wirken jedoch nicht besonders glaubwürdig. Spannung erzeugt Obrégon durch schnelle Schnitte und Szenen, die den Leser immer wieder auf falsche Fährten führen und ihn häufig dazu zwingen, eigene Lösungsvorschläge zu revidieren. Rasend spannend ist das Buch nicht, um auf den Spuren eines Serientäters eine Nacht durch zu lesen; es ragt auch nicht aus bekannten Japan-Krimis heraus. Wer Japan - und Hongkong - als Schauplatz entdecken möchte, kann dem Buch und dem bereits angekündigten zweiten Band eine Chance geben.