Rezension

„Die Rückkehr“ ist ein wie alle große Literatur dem Tod und der Dunkelheit abgerungenes Buch. Es erzählt von Vätern und Söhnen, von Heimat und Exil und von jenem in allen arabischen Ländern gescheiterten Traum vom demokratischen Aufbruch.

Die Rückkehr - Hisham Matar

Die Rückkehr
von Hisham Matar

Bewertet mit 5 Sternen

Hisham Matar, Die Rückkehr. Auf der Suche nach meinem verlorenen Vater, Luchterhand 2017, ISBN 978-3-630-87422-7

 

 

„Die Rückkehr“ ist das bisher persönlichste Buch des libyschen Schriftstellers Hisham Matar, in dem er seine jahrzehntelange obsessive Suche nach dem Verbleib seines Vaters dokumentiert und damit gleichzeitig eine Liebeserklärung an das Libyen seiner Kindheit und ein verzweifelter Aufschrei über das, was die Gaddafi-Tyrannei und eine gescheiterte Revolution aus einem einst blühenden Land und seiner Kultur gemacht haben.

 

Das Buch beginnt im März 2012 an einem Tag auf dem Flughafen in Kairo. Hisham Matar, seine Frau Diana und seine Mutter wollen das, wie sich herausstellen wird, letzte Zeitfenster nutzen, um nach der Revolution noch einmal in die Heimat zu fliegen und dort nicht nur Verwandte zu besuchen, sondern vielleicht auch endgültige Klarheit über das Schicksal des seit 1990 verschwundenen Vaters zu bekommen.

 

Und während sich die drei der alten Heimat nähern und während sie dort bei einem längeren Aufenthalt eintauchen in die Welt ihrer weit verzweigten Verwandtschaft, erzählt Matar sein eigenes Leben und das seines Vaters, dem er nachspürt, seit der 1990 vom ägyptischen Geheimdienst an Gaddafi ausgeliefert wurde.

Jaballa Matar war bis 1973 als libyscher Diplomat bei den Vereinten Nationen in New York tätig. Dort wurde auch 1970 der Sohn Hisham geboren. 1973 kehrte die Familie nach Libyen zurück, wo Hisham Matar seine frühe Kindheit verbrachte, bevor die ganze Familie wegen des regimekritischen Engagements des Vaters zunächst nach Kenia und später nach Kairo fliehen musste.

 

Von London aus, wohin Hisham 1986 gegangen war, um dort Architektur zu studieren, erlebt er 1990 mit, wie Ägypten seinen Vater über Nacht an Gaddafi auslieferte. Später stellt sich heraus, dass er sofort nach Abu Salim gebracht wurde, jenem berüchtigten Gefängnis, in dem tausende Regimegegner verschwanden.

33 Jahre hat Hisham Matar auf der Suche nach der Wahrheit über seinen Vater, die ihn über den halben Erdball führte und selbst mit Gaddafis Sohn verhandeln ließ, von dieser Rückkehr geträumt und sich gleichzeitig vor ihr gefürchtet. Er will nun endgültig Gewissheit, ob der Vater noch am Leben ist, bzw. unter welchen Umständen er ums Leben gekommen ist. Sein Buch ist, meisterhaft komponiert und sicher unter großen Schmerzen geschrieben, nicht nur der Bericht über diese Reise, sondern auch eine in vielen Rückblicken erzählte Geschichte seines Landes und eine Introspektion seiner eigenen Heimatlosigkeit und Verzweiflung angesichts des verschwundenen Vaters.

 

Es beginnt, mit jenem Tag, als Gaddafi 1969 in Libyen de Macht an sich reißt und den König stürzt. Anfänglich so wie viele andere seiner Generation diesen Aufbruch in eine neue politische Ära durchaus begrüßend, entwickelt sich Jaballa Matar aber schnell zu einem entschiedenen Gegner eines Systems, dem später nicht nur Tony Blair, sondern auch die deutschen Grünen huldigen sollten.  Mit der Figur seines Vaters verknüpft Matar diese politische Geschichte. Mit der seines Großvaters verschafft er dem Leser Einblicke in die Zeit, als Libyen unter italienischer Besatzung stand, eine Herrschaft, die das Land wirtschaftlich und kulturell ausbeutete und von der in Italien auch heute noch niemand etwas wissen, geschweige denn aufklären will.

 

Die Worte Matars bringen auch dem politisch aufgeklärten Leser ein Land und eine Kultur nahe, die er so nie wahrgenommen hat, ragte doch Libyen unter den sogenannten gescheiterten Staaten besonders heraus.

 

Als Hisham Matar im März 2012 nach Libyen kommt, ist die Arabellion schon fast gescheitert. Die Möglichkeit einer besseren Zukunft besteht noch, doch der Bürgerkrieg ist schon ein Teil des Alltags, die Zerstörung der Hoffnungen schon in vollem Gange: "Ich bin", so schreibt er, "nie irgendwo gewesen, wo Hoffnung und Besorgnis ähnlich groß waren. Alles schien möglich, und so gut wie jeder, den ich traf, sprach in einem Atemzug von seinem Optimismus und düsteren Vorahnungen."

 

Mit viel Einfühlungsvermögen zeichnet er die zahlreichen Menschen, mit denen er über seinen Vater und deren eigene Erfahrungen spricht. Diese Teile des Buches, in denen der Autor selbst immer wieder auf dem Spiel steht, sind auch sprachlich meisterhaft gelungen. Das antike Vater-Sohn-Drama, jene enge Bindung über den Tod hinaus bestimmt das ganze Buch.

 

„Die Rückkehr“ ist ein wie alle große Literatur dem Tod und der Dunkelheit abgerungenes Buch. Es erzählt von Vätern und Söhnen, von Heimat und Exil und von jenem in allen arabischen Ländern gescheiterten Traum vom demokratischen Aufbruch.

 

Ein großes Buch, das spricht vom Schmerz und  von der Kraft derer, die die Hoffnung nicht aufgeben können.