Rezension

Die Suche nach Freiheit

Von Znaime nach Brühl
von Herta Rauscher-Emge

Bewertet mit 4 Sternen

Flucht und Heimatfindung einer Vertriebenen aus Südmähren, bewegend und poetisch erzählt mit kleinen, nicht immer einfach nachvollziehbaren Zeit- und Gedankensprüngen.

Cover:
Das Cover zeigt einen Teil von Znaim im heutigen Tschechien, die ursprüngliche Heimat der Autorin, damals gehörte die Stadt noch zu Südmähren. Hier beginnt ihr Weg, ihre Suche nach Glück und Freiheit.

Inhalt:
Die Autorin schildert in 3 Abschnitten von ihrer Kindheit in Znaim /Südmähren, der Vertreibung von dort nach dem Zweiten Weltkrieg und ihrer Flucht über Wien und schließlich ihrer neuen Heimat Brühl, in der sie heute noch lebt.

Mein Eindruck:
Das Buch ist in 3 Abschnitte eingeteilt:
1. Kindheit und Jugend, 2. Ankunft in Brühl und 3. Das Leben bewältigen.

Generell hat mir der Schreibstil sehr gut gefallen. Da das Buch aus der Ich-Perspektive geschrieben ist, hat man das Gefühl, ganz nah am Geschehen zu sein. Ich habe das Buch verschlungen, die Geschichte hat mich sehr gepackt. Ich hatte das Gefühl, zum ersten Mal zumindest teilweis nachvollziehen zu können, was es heißt, vertrieben zu sein. Man war vorher geachtet und wohlsituiert und musste dies alle hinter sich lassen, um in einem anderen Land bei Null als Niemand wieder anzufangen. Auch wenn dies sicher nur ANSATZWEISE an die realen Gefühle dieser Menschen herankommen dürfte. Nach der Vertreibung beginnt eine Suche nach sich selbst, nach Freiheit und der Antwort auf die Frage, was Heimat für einen bedeutet.Dieser Frage geht Herta in ihrem Buch nach.

Schön finde ich dabei die vielen Details, die der Erinnerung der Autorin entspringen wie z. B. die Beschreibung ihrer verschneiten Heimat Znaim mit der Eislaufbahn, die kleinen zwischenmenschlichen Begegnungen auf der Flucht und die so schön beschriebenen Familienzusammenkünfte bei den Großeltern und auch ihre persönliche Weihnachtsgeschichte hat mich sehr angerührt. Ebenso bin ich aber auch emotional mit all ihren traurigen und nicht so schönen Erlebnissen mitgegangen.

Der erste Abschnitt ist im Großen und Ganzen chronologisch geschrieben. Er beschreibt die Kindheit und die Flucht bis Wien. Dieser Abschnitt hat mir viele kleine Aha-Erlebnisse bezüglich der damaligen Zeit beschert, insbesondere die Behandlung der Vertriebenen betreffend, allerdings auch viele Fragen bei mir aufgeworfen. Leicht gestört haben mich kleine Sprünge in der Zeit bzw. im Thema. Manchmal wurden einige Erlebnisse in einem Kapitel angerissen/angekündigt, dann erfolgt ein Zeitsprung zurück im nächsten Kapitel, in dem die Geschichte dann detaillierter aufgearbeitet wird. Hier wären Zeitangaben in den Überschriften hilfreich gewesen. Auch hätte ich eine Karte der Flucht mit den wichtigen Stationen sowie eine Art skizzierten Zeitstrahl mit den wichtigsten Ereignissen zur besseren Orientierung sehr hilfreich gefunden.

Ab dem zweiten Abschnitt wird in Form von Kurzgeschichten Hertas Zeit der Heimatfindung in Brühl geschildert. Die Kapitel hier sind eher themenorientiert angeordnet. Und auch hier gibt es ein paar wenige irritierende, logische Sprünge im Erzählten, die mich fragend zurückgelassen haben.
Der dritte Teil ist im Prinzip eine scheinbar lose angeordnete Ansammlung von Kurzgeschichten, Gedankenepisoden über die Geschichten, die das Leben im Allgemeinen so schreibt. Die Autorin musste viele harte Schicksalsschläge im Kreise ihrer engen Familie einstecken und hat ihre Gedanken und Gefühle hier in kleinen Episoden aufgearbeitet.

In den ersten beiden Teilen stand überwiegend im Vordergrund, was passiert ist, wer wie gehandelt hat. Im dritten Teil sind viele kleine Gedanken und Gedankenspielereien zum Thema Freiheit und das Leben an sich beinhaltet. Sie haben mich teils zustimmen lassen, teils Fragen in mir aufgeworfen und mich natürlich auch selber über mich und mein Leben nachdenken lassen.

Ich war am Ende des Buches etwas aufgewühlt und leicht melancholisch. Der Schreibstil ist sehr schön, das Buch hat mich von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt und bewegt. Allerdings ist es ganz anders, als ich erwartet hatte. Ich hatte eher eine chronologische Abfolge von Flucht und Wiederaufbau in Deutschland erwartet, erzählt aus der Sicht von Herta. Dies betraf aber nur den ersten und einen Teil des zweiten Teils. Je weiter das Buch voranschritt, desto mehr hatte ich das Gefühl, dass es in einer losen Abfolge von Kurzgeschichten mündete. Dies ist nicht zwingend schlecht, aber für mich nicht ganz stimmig mit dem Titel und dem Klappentext. Für diese gefühlte Unstimmigkeit und die kleinen, nicht nachvollziehbaren Gedankensprünge im Text gibt es von mir einen kleinen Punktabzug. Ansonsten wirklich sehr empfehlenswert!

Fazit:
Flucht und Heimatfindung einer Vertriebenen aus Südmähren, bewegend und poetisch erzählt mit kleinen, nicht immer einfach nachvollziehbaren Zeit- und Gedankensprüngen.