Rezension

Die Welt hinter dem Kaninchenloch

Erzählende Affen -

Erzählende Affen
von Samira El Ouassil

Bewertet mit 5 Sternen

Alices berühmtes Kaninchenloch habe ich im Buch "Erzählende Affen" von Samira El Ouassil und Friedemann Karig gefunden, bin hineingestiegen und habe sie getroffen... alle, sämtliche Geschichten, die erzählt werden, vom Lagerfeuer bis zum Twittertweed, von Legenden bis zu alternativen Fakten, vom moralischen Märchen bis zur vermeintlich relevanten Pressemitteilung. Ich habe die Absichten dahinter gesehen, die Narrative, die Glaub- und Unglaubwürdigkeiten, die Virulenz und die Wirkmächtigkeit. Und genauso wie Alice habe ich dabei meine Unschuld verloren, habe die rote Pille aus Matrix geschluckt, habe meine eigene kleine Heldenreise vollzogen. Ich werde wohl künftig mit einem scharfen Schwert jeden Vorhang zerteilen wollen, der mir den Blick auf den wahren Zweck einer Geschichte verwehrt, werde hoffentlich alle Sinne beisammen haben, um Wortspiele, Andeutungen, Auslassungen richtig zu deuten...

... so würde ich gern meine eigene Saga schreiben, aber es dürfte auch klar sein, dass es dazu mehr als nur eines einzigen Buches bedarf. Doch die erzählenden Affen sind schon ein kleiner Meilenstein auf dem richtigen Weg dorthin. Mögen die beiden Autoren auf ihrem Foto auch aussehen, als wären sie einem Modejournal entstiegen, so bieten sie hier doch einige erfrischende und durchaus nachvollziehbare Thesen an, die nicht nur mit Belegen aus den Tiefen der Geschichte, sondern auch aus aktuellen Kinohits und jüngster Politikpropaganda untermauert werden. Sollten dabei sachliche Fehler, über das etwas verunglückte Schaubild auf Seite 28 hinaus, aufgetreten sein, so konnte ich sie mit meinem Laienwissen nicht erkennen.

Das Tempo duch Raum und Zeit, aber vor allem durch Fiktion und Geschichte war rasant und spannend. Geschichten, ob niedergeschrieben, erzählt, oder sogar verschwiegen, machen immer etwas mit dem "Homo narrans". Es lässt ihn denken, handeln, weitererzählen. Lesen und hören können wir immer, selbst ohne Schrift und ohne Sprecher... ein Schuss in stiller Nacht, eine Wäscheleine voller Babysachen schmeißen die innere Erzählmaschine an und machmal tauchen diese dann als Geschichten auf und erklären uns ein Stück weit unsere Welt, für die wir alle einen Grund einfordern.

Das Buch war auch ein Wiedersehen mit vielen alten Bekannten, Schriftstellern, Politikern, Ereignissen, Filmen, Werbespots und anderem, so dass ich mich abgeholt und gut aufgehoben fühlte. Wie gesagt, meine Unschuld, oder besser meine Unbedarftheit für künftige Lektüre dürfte etwas flöten gegangen sein, doch ganz so jungfräulich war ich auch vorher nicht.

Warum es unbedingt der Affe sein musste, der mit seinem Antlitz das Buch bewirbt, mag Gründe haben. Zum einen können und sollen wir unsere Herkunft nicht vergessen und den tiefen Graben namens Menschenrassen aus unseren Köpfen streichen, zum anderen ist er der ideale Werbeträger für die Transformation vom impulsgesteuerten Tier hin zum Geschichten erzählenden Homo narrans, der sich über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft mit seinen Nächsten austauscht.

Eine unterhaltsame und lehrreiche Lektüre, die vielleicht ein paar redundante Elemente enthält, die aber durchaus zur Einprägsamkeit beitragen und damit wiederum ihre ganz eigene Geschichte von Absicht und Wahrheit erzählt. Die wissenschaftlichen Aspekte gehen nicht unnötig in die Tiefe und somit bleibt alles auch für den durchschnittlich gebildeten Leser verständlich. Ich habs gern gelesen und kann es interessierten Menschen weiterempfehlen.