Rezension

Dieses Buch geht unter die Haut

Bis unter die Haut - Julia Hoban

Bis unter die Haut
von Julia Hoban

Bewertet mit 5 Sternen

"Bis unter die Haut" umfasst 350 Seiten und gliedert sich in 16 Kapitel. Zu Beginn des Buches sind diese noch relativ kurz, werden aber zum Ende hin immer länger. Denn auch die Handlung wird nach und nach intensiver und benötigt Raum, um sich zu entfalten. Vereinzelt sind die Kapitel in Absätze unterteilt, um während des Lesens bequem Pausen einlegen zu können, ohne das Kapitel unbedingt zu Ende lesen zu müssen.

Das Buch beginnt ein gutes halbes Jahr nach dem Unfall, bei dem Willows Eltern ums Leben gekommen sind. Dieser Unfall wird nicht groß thematisiert. Es finden sich an einigen Stellen Rückblicke, in denen man etwas dazu erfährt, aber im Vordergrund des Buches steht eindeutig Willows jetziges Leben

Geschrieben ist das Buch aus der Sicht eines allwissenden Erzählers in der Gegenwartsform. Rückblicke in die Vergangenheit, insbesondere Willows Erinnerungen an den schrecklichen Autounfall, sind in der Vergangenheitsform geschrieben. Willows Gedanken werden an einigen Stellen in kursiver Schrift verdeutlicht.

Sehr passend zum Inhalt des Buches ist dessen Cover. Dies finde ich sehr gut gestaltet und bringt stöbernde Leser in der Buchhandlung dazu, das Buch zur Hand zu nehmen und genauer zu betrachten.

Die Originalausgabe von "Bis unter die Haut" erschien 2009 unter dem Titel "Willow" bei DialBooks, a member of Penguin Group, New York.

Meine Meinung zum Buch:
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Wie verzweifelt muss ein junger Mensch sein, um sich selbst grausame Verletzungen und Schmerzen zuzufügen? Liegt es nicht in der Natur des Menschen, Angst vor Schmerzen zu empfinden? Was muss geschehen, um diese Angst zu überwinden? Vielleicht so etwas, das Willow zugestoßen ist? Ein schrecklicher Autounfall, der zwei Menschen das Leben nahm? Und an dem sie sich selbst schuldig fühlt?

Mit ihrem Buch "Bis unter die Haut" ist Julia Hoban ein Buch gelungen, das wahrlich unter die Haut geht. Der Autorin gelingt es, das Leben der jungen Protagonistin auf eine sehr authentische Weise zu zeichnen. Willow hat Angst vor dem Umgang mit Altersgenossen, da sie befürchtet, über den Unfall ausgefragt zu werden und alles noch einmal durchleben zu müssen. Sobald in ihrer Nähe getuschelt oder gekichert wird, ist sie sich sicher, dass sie der Grund dafür ist. Sie ist eine Einzelgängerin und zu ihren Freunden von früher hat sie keinen Kontakt mehr, da sie nicht an ihr altes Leben erinnert werden will.

Doch Willows Probleme gehen natürlich noch viel weiter: Sie ritzt sich selbst und niemand darf davon erfahren. Sie befürchtet neugierige Fragen beim Kauf von Rasierklingen, sie versteckt diese heimlich unter ihrer Matratze, sie vergräbt blutverschmierte Blusen im Park. Willows Leben wird von ihrer Gier nach Schmerzen total bestimmt. Ihre Gedanken drehen sich allein darum, an welcher Stelle sie sich das nächste Mal ritzen kann, ohne dass es auffällt.

Julia Hoban scheut sich nicht davor, ausführlich zu beschreiben, wie Willow vorgeht, wenn sie sich selbst verletzt. Ausführlich wird beschrieben, wie die Rasierklinge in Willows empfindliche Haut eindringt. Was sie bei mir als Leserin damit erreicht hat, ist vor allem Abscheu und ein Gefühl von Befremdlichkeit. Und ebenso wenig zimperlich geht Julia Hoban vor, wenn sie die Unfallereignisse beschreibt. Hier spritzt Blut, Köpfe knallen gegen das Armaturenbrett.

Nachdem ich Willows Verhalten nach den ausführlichen Beschreibungen ihrer Selbstverletzung mit Kopfschütteln begegne, bin ich der Autorin dankbar dafür, dass diese nun versucht, Gründe für Willows Verhalten zu finden: Willow verdrängt ihren inneren Schmerz durch eine andere Art von Schmerz, nämlich körperlichen Schmerz, der sie taub und immun gegen alles andere macht. Sie sucht und findet darin eine Ablenkung. Und mit diesen Erklärungsversuchen schafft es die Autorin doch noch, mir Willow nahe zu bringen. Ich kann ihr Verhalten nun besser nachempfinden und es teilweise sogar verstehen.

Doch Willow ist nicht die Einzige, die lernen muss, mit den Folgen des Unfalls zu leben. Denn sie hat einen Bruder, David, der ein paar Jahre älter ist als sie, und mit dem sie nun zusammenwohnt, gemeinsam mit seiner Frau und dem Baby der beiden. Auch David hat einen Weg gefunden, die schrecklichen Ereignisse zu verarbeiten: Er weint nachts heimlich in der Küche. Und Willows Schuldgefühle wachsen, als sie ihren Bruder heimlich beobachtet, denn für sie steht fest, dass David ihr die Schuld am Unfall gibt.

Vieles ändert sich, als Willow Guy kennenlernt. Denn Guy ist nicht nur sehr nett zu Willow, sondern er kümmert sich um sie, er bemüht sich um sie, er kämpft um sie. Guy vermittelt Willow andere Sichtweisen auf Vieles. Während Willow von der Einstellung anderer Menschen ihr gegenüber fest überzeugt ist, schafft Guy es, ihr die Augen zu öffnen und sie lernt, das Verhalten der Anderen neu zu erkennen und einzuschätzen.

Natürlich entwickelt sich zwischen Willow und Guy eine zarte Liebesgeschichte und mir hat es großen Spaß gemacht, die beiden dabei zu beobachten. Ihre Beziehung ist von Hochs und Tiefs und starken Stimmungsschwankungen geprägt. Wird Willow es schaffen, sich für Guy und gegen das Ritzen zu entscheiden?

Am Ende des Buches ist nicht alles gut. Willow ist nicht geheilt und ihre Narben sind auch noch nicht verblasst. Aber es hat sich einiges in ihrem Leben verändert und auch Willow selbst ist bereit, an sich etwas zu ändern. Ich fand dieses Ende sehr passend und authentisch. Es ist nicht zu erwarten, dass alle Probleme sofort verfliegen. Willow muss an sich arbeiten und vor allem an sich glauben. Ich denke, das ist die Nachricht, die Julia Hoban jungen Lesern, die in ähnlichen Situationen wie Willow stecken, mitgeben will.

Der Schreibstil der Autorin ist sehr angenehm und auf die Zielgruppe jugendlicher Leser abgestimmt. Das Buch liest sich leicht und flüssig. Größtenteils lebt es von seinen Dialogen. Diese wirkten an manchen Stellen sehr konstruiert und gestellt auf mich, treiben dafür aber stetig die Handlung voran. Der Autorin ist es aufgrund ihres eindringlichen Schreibstils gelungen, mich sehr für das Schicksal von Willow zu interessieren.

Mein Fazit:
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Eine Geschichte, die wahrlich unter die Haut geht!