Rezension

Düsterer als die Vorgänger!

Chroniken von Chaos und Ordnung. Band 4: Lucretia L'Incarto - J. H. Praßl

Chroniken von Chaos und Ordnung. Band 4: Lucretia L'Incarto
von J. H. Praßl

Bewertet mit 5 Sternen

Unsere Gefährten müssen sich wappnen. Aus vereinzelten brandgefährlichen Einsätzen wird ein ganzer Krieg. Freunde werden sich wieder finden. Wege werden sich trennen. Und Chara wird sich schritt für Schritt nicht nur ihrer eigenen Bedeutung sondern auch endlich ihrer Gefühle bewusst.

Als ich die Überschrift getippt habe musste ich fast selbst ein bisschen schmunzeln. Schließlich kann man es selbst kaum glauben, wenn man bedenkt dass wir im Vorgänger Dragati bei seinen Schandtaten beobachten mussten, die an Grausamkeit fast nicht zu überbieten waren. Wir haben Vergewaltigungen, Mord, Folter und Hass gesehen. Wir haben beobachtet wie tausende Liter Blut in der Erde Amaleas versickern. Wir haben Freunde verloren. Und doch setzt das Autorenduo hier nochmal einen drauf - denn wir bekommen all das (vielleicht mal abgesehen von ein paar ganz kranken Foltermethoden, aus Ermangelung eines Geistes, der an Abartigkeit an Dragati heran reichen könnte) und dazu noch das Gefühl, dass wir uns in niemandem mehr sicher sein können. Zumindest ging es mir so.

Zwischen Telos und mir war es schon immer ein beständiges auf und ab. Wirklich mochte ich ihn noch nie. Aber in diesem Band hat er es zum ersten Mal geschafft, mir etwas Angst zu machen. Sein ehemals starker Glauben grenzt nun an Fanatismus. Und Lucretia? Die ist vor allen Dingen erstmal Machthungrig. Ihre mangelnden Prinzipien verursachen mir von Anfang an Bauchschmerzen. In all dem Elend, dass in Amalea herrscht fehlt nun also das, was ehemals der sichere Hafen war - unsere Gefährten. Denn irgendwie wirken sie zersplittert. Und das fällt sogar Chara auf.
Als wäre den Praßls selbst bewusst, was sie uns als Leser hier zumuten bekommt man hier aber auch das krasse Gegenteil - nämlich Szenen, die eigentlich so gar nicht in die Chroniken passen. Kurze Pausen vom Krieg, eine Feier in Lucretias Haus, Chara in einem Kleid bei einem Tanz - und noch einiges mehr, was ich an dieser Stelle allerdings nicht verraten möchte. Wie eine warme Decke in einer viel zu kalten Nacht legen sich diese Abschnitte um den Leser. Sie wappnen uns genau so wie unsere Protagonisten, wieder einen Schritt weiter Richtung Dunkelheit gehen zu können.

Während ich diese Rezension schreibe bin ich mit jeder Zeile ein bisschen mehr versucht, mir die Haare zu raufen. Was soll man denn in Teil 4 noch sagen, wenn alle gleichbleibend gut sind? Normalerweise gibt es irgendwann einen Schnitzer. Eine Entwicklung mit der ich nicht leben will. Und hier? Nichts. Wie soll man einer Reihe gerecht werden, die permanent auf dem gleichen, fast unerhört hohem Niveau bleibt? 
Ich bin jedes Mal wieder beeindruckt, von der sprachlichen Qualität. Ich bin jedes Mal wieder fasziniert, von der Komplexität der Figuren. Ich bin jedes Mal wieder bezaubert, von der Schönheit, die Amalea ausstrahlt - trotz des ganzen Leids.
Und trotzdem schaffen die beiden immer wieder, mich zu überraschen. Dieses Mal damit, dass sie ihrer ohnehin schon perfekt durchdachten, höllisch Komplexen Welt eine neue Ebene geben. Ich liebe Geschichten, die perfekt ineinander greifen. Sowas findet man selten, wenn es solche Dimensionen annimmt wie die Chroniken. Und wenn man doch so einen Schatz entdeckt schreit meine kleine, fiese innere Stimme irgendwann laut "TOLKIEN! Hust" - hier bleibt sie still und lässt mich genießen.

Ich habe lange nach passenden Worten des Lobs gesucht - und hab festgestellt, dass sie sich nicht finden lassen. Macht nichts. Stellt euch leuchtende Augen vor, Hände, die ein Buch zuklappen und danach nochmal sanft über den Rücken streichen und einen leisen Seufzer, wenn es dann vorbei ist.