Rezension

Düsterer, angenehm geschriebener Pageturner, dem es an Tiefe & dreidimensionalen, sympathischen Figuren fehlt

Vicious - Das Böse in uns - V. E. Schwab

Vicious - Das Böse in uns
von V. E. Schwab

~ „Vicious“ ist ein düsterer Fantasy-Roman, über den ich im Vorhinein viel Gutes gehört hatte und an den ich daher hohe Erwartungen hatte, die leider nicht erfüllt wurden. Überzeugen konnte mich der schnörkellose, angenehme, flüssig lesbare, anschauliche und für Jugendliche (ab 16) und junge Erwachsene perfekte geeignete Schreibstil. Ich bin deshalb nur so durch die Seiten geflogen! V. E. Schwabs Idee für diesen Racheroman ist vielleicht nicht ganz neu, jedoch ergänzt die Autorin gekonnt bekannte Handlungsstrukturen mit interessanten eigenen Einfällen. Der Roman beginnt sehr stark – ich dachte sogar im ersten Drittel, dass ich ein neues Lieblingsbuch vor mir habe. Leider lässt er dann nach, weil die Autorin es versäumt, bei interessanten Themen wie Tod, Freundschaft, Schuld, Familie, Außenseitertum und der Frage, was gut und was böse ist, in die Tiefe zu gehen. Ein größerer Logikfehler ist mir auch aufgefallen. Kurz: Das Potential der Geschichte konnte leider nicht vollständig genutzt werden. Bei der Figurenzeichnung weist das Buch meiner Meinung nach leider die größten Schwächen auf. Die ProtagonistInnen und Nebencharaktere wirkten auf mich flach, aufgrund ihrer Gewissenlosigkeit und ihres Egoismus unsympathisch und wie leere Hüllen. Sie hatten nichts an sich, was mich dazu gebracht hätte, mit ihnen mitzufühlen oder mitzufiebern. Ihr Schicksal blieb mir bis auf wenige Ausnahmen (Sydney und Mitch) egal. Sie schienen nur durch ihre Bösartigkeit definiert zu werden - hier fehlten mir Tiefe, eine gewisse Liebenswürdigkeit oder zumindest etwas Besonderes, das gewisse Etwas. Das Buch beginnt und endet spannend – leider gibt es im Mittelteil einen Durchhänger, bei der die Geschichte an Tempo verliert. Dennoch fand ich „Vicious“ unterhaltsam und wollte immer wissen, wie es weitergeht. Ich hatte mir das Buch zwar viel brutaler vorgestellt, als es schlussendlich war, dennoch sollte das Buch aufgrund der gewissenlosen ProtagonistInnen frühestens von älteren Jugendlichen (vielleicht 16 aufwärts) gelesen werden. Ich persönlich würde allerdings keine Empfehlung für Teenager aussprechen. Insgesamt ist „Vicious“ für mich ein Buch, das okay ist und das man lesen kann, das man aber nicht gelesen haben muss. ~

Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): nicht bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: keine! ♥

Inhalt

Als junge Medizinstudenten haben sich Eli und Victor mit extraOrdinären Menschen – Menschen, die nach einer Nahtoderfahrung Superkräfte entwickelt haben – beschäftigt und einige im wahrsten Sinne des Wortes lebensgefährliche Experimente durchgeführt. Immer besessener forschten sie an dem Thema, bis sie versuchten, selbst zu solchen extraOrdinären Personen zu werden. Seitdem ist viel passiert. Nach zehn Jahren gelingt Victor endlich der Ausbruch aus dem Gefängnis, in dem wegen Eli gelandet ist – und er hat nur ein Ziel: Rache…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Band #1 (Auftakt) der „Villains“-Reihe
Verlag: FISCHER Tor
Seitenzahl: 400
Erzählweise: Figuraler Erzähler, Präteritum
Perspektive: weibliche und männliche Perspektive (mehrere)
Kapitellänge: kurz
Tiere im Buch: + Im Buch wird ein Hund angefahren und zweimal getötet (einmal aus Versehen und einmal aus Gnade), beide Male wird er jedoch wiederbelebt. Er wird von einem Mädchen liebevoll umsorgt. Zusätzlich wird ein Hamster wiederbelebt.

Warum dieses Buch?

Da ich düstere Geschichten liebe, machten mich Cover, Titel und Klappentext sofort neugierig. Außerdem hatte ich schon viel Gutes in Buchcommunitys über das Buch gehört.

Meine Meinung

Einstieg (5 Lilien ♥)

Der Einstieg ist mir sofort und problemlos gelungen. Schon nach dem ersten Kapitel, in dem ein kleines Mädchen und ein Mann eine Leiche auf einem Friedhof ausgraben, ist die Neugier geweckt und man will wissen, wie es weitergeht.

Schreibstil & Dialoge (5 Lilien ♥)

„Die wichtigen Momente sind nicht immer lang und bedeutungsschwer. Zwischen einem Schluck und dem nächsten beging Victor den größten Fehler seines Lebens, und er bestand nur aus einem Satz. Vier kleine Wörter.
‚Ich gehe als Erster.‘“ E-Book, Position 607

Den schnörkellosen Schreibstil von V. E. Schwab fand ich sehr flüssig und unheimlich angenehm. Für junge Erwachsene oder ältere Jugendliche (das ist meiner Meinung nach die Zielgruppe) ist er perfekt geeignet: Er ist anschaulich, einfach, dabei aber nicht oberflächlich. So lässt sich das Buch wahnsinnig schnell lesen. Ich bin nur so durch die Seiten geflogen!

Inhalt, Themen & Ende (3 Lilien)

V. E. Schwabs Idee für diesen Racheroman ist vielleicht nicht ganz neu, jedoch gelingt es der Autorin, bekannte Handlungsstrukturen so zusammenzufügen und mit eigenen Einfällen zu ergänzen, dass ein spürbar eigenes Werk dabei herausgekommen ist. Im Vorfeld hatte ich so viel Gutes über diesen angeblich ungewöhnlichen Fantasy-Roman gehört, dass meine Erwartungen sehr hoch waren. Leider kann ich den Hype nicht wirklich nachvollziehen – deshalb folgt eine „unpopular opinion“.

Die Autorin erzählt das Buch nicht chronologisch, sondern auf vielen verschiedenen Zeitebenen. Zahlreiche Rückblenden erklären nach und nach wie es zur Feindschaft zwischen Eli und Victor kam. Mich hat beeindruckt (hierfür ein großes Lob!), dass es trotz der vielen Zeitsprünge niemals verwirrend wurde – die Orientierung war überhaupt kein Problem, ich wusste immer sofort, wo ich mich in der Geschichte befinde. Ich hatte mir das Buch viel brutaler vorgestellt, als es schlussendlich war. Es gibt leichte Folterszenen und einige Morde, keiner davon ist aber besonders brutal oder grausam. Dennoch sollte das Buch aufgrund der gewissenlosen ProtagonistInnen frühestens von älteren Jugendlichen (vielleicht 16 aufwärts) gelesen werden – auch wenn ich persönlich keine Empfehlung für Teenager aussprechen würde. Es gibt meiner Meinung nach bessere und vor allem moralisch weniger fragwürdige Bücher, von denen Jugendliche tatsächlich profitieren können.

Die Geschichte, die oftmals Cliffhanger und gelungene dramatische, filmische (manchmal auch etwas klischeehafte) Szenen enthält, steuert unaufhaltsam auf ein Ziel zu, es gibt keine Nebenhandlungen, nichts Unerwartetes neben dem Rachemotiv. Hier hat mir irgendwie etwas gefehlt, das Buch fühlte sich für mich etwas flach an – es hat mich nicht beeindruckt und ließ mich mit einem unbefriedigten „Wozu hab ich das eigentlich gelesen?“-Gefühl zurück, obwohl mir das Ende eigentlich sehr gut gefallen hat.

Der Roman begann meiner Meinung nach sehr stark – ich dachte sogar im ersten Drittel, dass ich ein neues Lieblingsbuch vor mir habe. Leider ließ er im Anschluss nach, weil die Autorin es versäumte, in die Tiefe zu gehen. Viele ihrer durchaus interessanten Themen wie Tod, Freundschaft, Schuld, Familie, Außenseitertum und die Frage, was gut und was böse ist, werden großteils leider nur oberflächlich behandelt. Ein größerer Logikfehler ist mir auch aufgefallen. Das Potential der Geschichte konnte leider nicht vollständig genutzt werden.

ProtagonistInnen & Figuren (2-3 Lilien)

„‘Ich habe keine Ahnung, wer du bist, aber du bist nicht Victor. Du bis etwas, das in seine Haut gekrochen ist. Ein Teufel in Menschengestalt.‘“ E-Book, Position 1566

Bei der Figurenzeichnung weist das Buch meiner Meinung nach leider die größten Schwächen auf. Die ProtagonistInnen und Nebencharaktere (die sich fast nur aus AntiheldInnen / AntagonistInnen zusammensetzen) wirkten auf mich flach, aufgrund ihrer Gewissenlosigkeit und ihres Egoismus unsympathisch und irgendwie wie leere Hüllen. Sie hatten nichts Lebendiges, Authentisches an sich, und nichts, was mich dazu gebracht hätte, mit ihnen mitzufühlen oder mitzufiebern. Ihr Schicksal blieb mir bis auf wenige Ausnahmen (Sydney und Mitch) egal. Sie schienen nur durch ihre Bösartigkeit definiert zu werden – das Buch wirbt ja sogar damit – aber wenn sie sonst nichts Interessantes an sich haben, reicht mir das leider nicht.  Hier fehlten mir Tiefe, eine gewisse Liebenswürdigkeit (oder zumindest etwas Besonderes, Einmaliges) und das gewisse Etwas. Hat die Autorin wirklich erwartet, dass ich mich mit Serena, Eli oder Victor identifizieren kann?

Spannung & Atmosphäre (3-4 Lilien)

Das Buch beginnt und endet spannend – leider gibt es im Mittelteil einen Durchhänger, bei der die Geschichte an Tempo verliert. Meiner Meinung nach hätten dem Buch mehr unerwartete Wendungen gutgetan, denn es konnte mich nur selten überraschen und war etwas vorhersehbar. Dennoch fand ich „Vicious“ unterhaltsam und wollte immer wissen, wie es weitergeht. Die oftmals sehr kurzen Kapitel, die aus verschiedenen Perspektiven erzählt werden, machen das Buch auf jeden Fall zum Pageturner, weil man sich immer wieder denkt: „Das nächste Kapitel ist so kurz, das lese ich noch!“ Ein wunderbarer Teufelskreis! Auch die düstere Grundstimmung hat mir gefallen, auch wenn es noch ein bisschen mehr hätte sein dürfen.

Feministischer Blickwinkel (3 Lilien)

Was die Hauptfiguren betrifft, ist das Geschlechterverhältnis ausgeglichen. Sobald man sich jedoch bei den Nebencharakteren umsieht, wird deutlich, dass hier mehr männliche Personen vorkommen. Was hätte zum Beispiel dagegen gesprochen, eine weibliche Professorin unterrichten zu lassen, PolizistINNEN ins Buch zu schreiben oder den weiblichen extraOrdinären Menschen eine größere Rolle zu geben? Antwort: Nichts! Ansonsten wird jedoch großteils auf Geschlechterstereotypen verzichtet. Es gibt zum Beispiel einen sehr muskulösen, hart aussehenden Mann mit einer sanften Seele und einer Vorliebe für Schokomilch. Was ich an diesem Buch auch sehr schätze, ist, dass darin keine einzige frauenfeindliche Beleidigung vorkommt. Leider besteht das Buch jedoch den Bechdel-Test nicht, weil von den einzigen beiden weiblichen Hauptfiguren eine noch ein Kind und keine erwachsene Frau ist. Dieses Problem hätte man durch mehr weibliche Nebenpersonen lösen können.

Mein Fazit

„Vicious“ ist ein düsterer Fantasy-Roman, über den ich im Vorhinein viel Gutes gehört hatte und an den ich daher hohe Erwartungen hatte, die leider nicht erfüllt wurden. Überzeugen konnte mich der schnörkellose, angenehme, flüssig lesbare, anschauliche und für Jugendliche (ab 16) und junge Erwachsene perfekte geeignete Schreibstil. Ich bin deshalb nur so durch die Seiten geflogen! V. E. Schwabs Idee für diesen Racheroman ist vielleicht nicht ganz neu, jedoch ergänzt die Autorin gekonnt bekannte Handlungsstrukturen mit interessanten eigenen Einfällen. Der Roman beginnt sehr stark – ich dachte sogar im ersten Drittel, dass ich ein neues Lieblingsbuch vor mir habe. Leider lässt er dann nach, weil die Autorin es versäumt, bei interessanten Themen wie Tod, Freundschaft, Schuld, Familie, Außenseitertum und der Frage, was gut und was böse ist, in die Tiefe zu gehen. Ein größerer Logikfehler ist mir auch aufgefallen. Kurz: Das Potential der Geschichte konnte leider nicht vollständig genutzt werden. Bei der Figurenzeichnung weist das Buch meiner Meinung nach leider die größten Schwächen auf. Die ProtagonistInnen und Nebencharaktere wirkten auf mich flach, aufgrund ihrer Gewissenlosigkeit und ihres Egoismus unsympathisch und wie leere Hüllen. Sie hatten nichts an sich, was mich dazu gebracht hätte, mit ihnen mitzufühlen oder mitzufiebern. Ihr Schicksal blieb mir bis auf wenige Ausnahmen (Sydney und Mitch) egal. Sie schienen nur durch ihre Bösartigkeit definiert zu werden - hier fehlten mir Tiefe, eine gewisse Liebenswürdigkeit oder zumindest etwas Besonderes, das gewisse Etwas. Das Buch beginnt und endet spannend – leider gibt es im Mittelteil einen Durchhänger, bei der die Geschichte an Tempo verliert. Dennoch fand ich „Vicious“ unterhaltsam und wollte immer wissen, wie es weitergeht. Ich hatte mir das Buch zwar viel brutaler vorgestellt, als es schlussendlich war, dennoch sollte das Buch aufgrund der gewissenlosen ProtagonistInnen frühestens von älteren Jugendlichen (vielleicht 16 aufwärts) gelesen werden. Ich persönlich würde allerdings keine Empfehlung für Teenager aussprechen. Insgesamt ist „Vicious“ für mich ein Buch, das okay ist und das man lesen kann, das man aber nicht gelesen haben muss.

Bewertung

Idee: 4 Lilien  
Inhalt, Themen, Botschaft: 3 Lilien
Umsetzung: 3 Lilien
Worldbuilding: 4 Lilien
Einstieg: 5 Lilien ♥
Schreibstil: 5 Lilien ♥
ProtagonistInnen: 2-3 Lilien
Nebenfiguren: 3 Lilien
Spannung: 3-4 Lilien
Atmosphäre: 3-4 Lilien
Ende / Auflösung: 5 Lilien
Emotionale Involviertheit: 2-3 Lilien
Feministischer Blickwinkel: 3 Lilien

Insgesamt:

❀❀❀  Lilien

Dieses Buch bekommt von mir drei Lilien!