Rezension

Durch und durch lebendig

Der berühmte Tiefpunkt -

Der berühmte Tiefpunkt
von Amarylis De Gryse

Bewertet mit 4 Sternen

Der berühmte Tiefpunkt ist für Marieke erreicht als sie nach der Trennung von ihrem langjährigen Freund, dem Rauswurf aus dem gemeinsamen Reihenhaus und dem notgedrungenen Einzug in ein gemietetes Auto auch noch mitten im Hochsommer ihre komplette Sommerkleidung an eine Maschine im Waschsalon verliert und fortan in Winterkleidung ihrer Arbeit im Seniorenheim nachgehen muss. Amarylis de Gryse erzählt in ihrem Debüt von einer jungen Frau in der Krise und hält dabei die Balance zwischen vergnüglichen und nachdenklichen Tönen.

Um ehrlich zu sein: die Familiengeschichte, die als Ausgangspunkt der ganzen Misere gesehen werden kann, entrollt sich im Buch erst so langsam und vielleicht auch nicht mit der erforderlichen Tiefe, sodass diese hintergründige Konstellation mir wahrscheinlich nicht lange im Gedächtnis bleiben wird. Klar ist jedoch, Marieke ist in einer Situation, für die sie sich nie bewusst entschieden hat und aus der sie keinen Ausweg sieht. Ihre Aufarbeitung der familiären Vergangenheit, der sie sich bis heute nie gestellt hat, genauso wie ihre zögerlichen Schritte hinaus in eine unbekannte Zukunft sind in diesem Roman vermittelt über Essen, dessen Geschmack und Zubereitung - der Titel des niederländischen Originals "Varkensribben" (Schweinerippchen) verrät daher schon ein wenig mehr über die Methode der Wahl zur Überwindung des Tiefpunktes. Essen verkörpert hier Lieblosigkeit und emotionale Verwahrlosung, genauso wie Fürsorge und Wertschätzung, sich selbst und anderen gegenüber. Im Seniorenheim eskaliert die ohnehin nicht tragbare Pflegesituation als den pflegebedürftigen Personen tagein tagaus Wurst mit wässrigem Apfelmus vorgesetzt wird und Marieke nimmt durch eine geschenkte Schachtel Pralinen und den Geschmack von Kindheitsgerichten in ganz proustscher Manier endlich wieder Kontakt mit sich selbst auf. Es ist diese Schlüsselrolle des Essens, die für mich in Erinnerung bleibt. Amarylis de Gryses Debüt liest sich wie im Flug, macht Spaß und ist durch und durch lebendig.