Rezension

Durchwachsen

Tage des Verlassenwerdens - Elena Ferrante

Tage des Verlassenwerdens
von Elena Ferrante

Bewertet mit 3 Sternen

Verzweiflung und metaphorische Sprache

Ich habe das Buch zweimal gelesen, 2003 und in diesem Jahr, 2021 (weil ich auf die Lieferung neuer Bücher wartete). Es ist  interessant, wie sich innerhalb von 18 Jahren die Lesart, Herangehensweise einer Leserin mit ihrer eigenen Entwicklung ändert. Auf den Inhalt werde ich nicht weiter eingehen, das wurde bereits getan.

Die Verzweiflung einer Frau wird sehr plastisch, teilweise langatmig geschildert und das ewige Kreisen um die Fragen: Wie bekomme ich ihn zurück? Was bin ich ohne ihn? (zunächst) über Wie bekomme ich mein Leben wieder in den Griff und werde meinen Rollen gerecht? (mittendrin) Der Leser wird richtiggehend in die Verzweiflung mit einbezogen, denn nichts geht mehr: Die Tür (als Metapher) ist verschlossen, ein Kind krank, der Hund liegt im Sterben, kein Internet, kein Handy, Hilflosigkeit und Ausweglosigkeit pur.

Hinsichtlich einer gewissen Spannung ist anzumerken, dass das  Ende des Buches nicht vorhersehbar ist, man als Leser also nicht weiß, ob es zu einer Art "Happy End" kommen wird oder alles in einer absoluten Katastrophe endet.

Hundefreunde leiden wahnsinnig, da sie das Sterben "Ottos" hautnah miterleben und Olga die Schuld geben, da sie nicht handlungsfähig ist, wird der Hund "geopfert" und es ist kein kurzer Moment, der Leser verliert den Überlebenskampf zusammen mit dem Hund. Olga war auch nicht fähig, den Hund zu lieben, obwohl wie für Hunde üblich, er ihr uneingeschränkte Zuneigung entgegen bringt. Olga ist noch nicht mal bereit, Verantwortung für den Tod anderer zu übernehmen, sie spricht von "Rissen der UNACHTSAMKEIT" (239), nicht gerade ein Zeichen einer reifen Persönlichkeit, insofern auch kein Entwicklungsroman, da sie zwar am Ende den Kopf aus der Schlinge zieht, die Tür geht auf, sie hat sich von Mario entliebt, aber die Ursachen und die Verantwortung für den Tod des Hundes sind mehr oder minder egal.Wobei der Hund natürlich auch symbolhaft für den Exmann steht. Mario hat den Hund geliebt, der Hund ist tot, die Liebe zum Exmann weg.

Das was mir an dem Buch zusagt, ist weniger der Inhalt als die metaphorische Sprache: "Buchseiten, die so undurchdringlich waren wie geschlossene Rolläden"(21)"Ambitionen meiner Jugend zerfielen wie zerschlissener Stoff" (23) "der Abend schnürt einem den Hals zu wie eine Schlinge" (223)

Ein wenig Humar (43/84).

Gutes Sprachniveau " (..) mein Mann blieb nicht nur bei seiner Entscheidung, er unterstrich sie auch noch durch eine Art erbarmungslosen Gleichmut" (11).

Die ewigen Gedankenströme und die Schilderung der Verzweiflung/Auswegslosigkeit erinnern ein bisschen an Haushofers "Die Wand", wobei Haushofers Werk natürlich beileibe mehr Tiefgang hat.

Das Buch ist eine nette Abwechslung. Insgesamt ist es mir zu langatmig, obwohl Verzweiflung/Ausweglosigkeit natürlich gewisse Längen braucht, um die Gefühle auf die Spitze zu treiben, es richtig plastisch werden zu lassen. Ich bin nicht prüde, aber auf die mehrmalige Schilderung sexueller Ausflüge hätte ich auch verzichten können, weil sie ein wichtiges Thema in die Banalität hinabziehen. Olga ist generell lebensunfähig, da spielt Sex erst mal keine Rolle und sie ist auch keine 20 Jahre alt, als dass das die Basis ihrer Selbstbestimmung sein müsste.

Missfallen hat mir eine gewisse, technische Inkonsequenz bei einer erfahrenen Autorin: Lange wird geschildert, dass das Handy kaputt ist und sich nicht reparieren lässt, auf einmal telefoniert sie damit und ihr Nachbar spricht nur von dem "Hund" und sie behauptet "Ottos Namen aus seinem Mund zu hören" (215).

Resumée: Man kann das Buch lesen, wenn man etwas zur Unterhaltung sucht oder Sprache Spaß macht, muss es aber nicht, man ist hinterher nicht schlauer als vorher.