Rezension

Eher enttäuschend oder zu große Erwartungen gehabt

Die Spionin - Paulo Coelho

Die Spionin
von Paulo Coelho

Bewertet mit 3 Sternen

Vor der Lektüre des neuen Buches von Paulo Coelho hatte ich schon eine Anzeige vom Diogenes-Verlag in einer Bücher-Werbe-Zeitschrift gelesen, in der stand:

"Ihr einziges Verbrechen war, eine unabhängige Frau zu sein. Mata Hari - die sinnliche Verführerin, die mutig ihren Weg ging und furchtlos den Preis dafür zahlte. Das intime Porträt einer klugen, verführerischen Frau, die den männlichen Moralvorstellungen zum Trotz ihr selbstbestimmtes Leben führte - bis zuletzt. Und eine typische Paulo Coelho-Heldin: unkonventionell, mutig und frei." (Lesezeichen, Winter 2016/2017 S. 31).

Was dann allerdings im Buch zu lesen war, enttäuschte meine Erwartungen doch sehr. 

Mata Hari, die als Doppelspionin von französischen Behörden verhaftet wurde, sitzt im Gefängnis und erwartet ihre Hinrichtung respektive Freilassung, da sie glaubt, ihre Freunde und ihr Anwalt würden sie noch retten können. Sie schreibt einen langen Brief an eben diesen Anwalt, in dem sie ihm ihr Leben schildert. Aufgrund dieser Erzählsituation - Schreiben an einen eher Fremden - ist diese Lebensbeichte eher sachlich, knapp und unemotional ausgefallen. Mata Hari gibt von sich nichts preis was nicht eh schon alle Welt weiß (und das ist nicht viel). Sie bleibt eine Unbekannte hinter einer Fassade aus Arroganz, Unnahbarkeit und Stärke. Auch für den Leser wird sie nicht greifbarer.

Das, was sie erzählt, ist leider nur sehr episodenhaft und sprunghaft. Da werden z. B. die 12 interessanten Jahre in Frankreich, in der sie auf dem Höhepunkt ihrer Karriere als skandalumwitterte Tänzerin und Mätresse reicher und berühmter Männer agierte, einfach ausgelassen und nur in wenigen Sätzen nacherzählt. Schade, denn wenn man z. B. oben den Werbetext durchliest, bekommt man den Eindruck, genau dies hätte sie ja als so starke und unabhängige Frau gebildet und ausgemacht. Da hätte ich mehr erwartet.

Wenn man dann vom Buchtitel ausgeht, "Die Spionin", ebenso wie vom Anhang, der Dokumente der Behörden zum Spionageverdacht abdruckt, dann könnte man annehmen, dass genau diese angebliche (?) Spionagetätigkeit das Hauptthema sei und das daher dann die Einzelheiten kämen, aber auch hierin wurde ich wiederum getäuscht. Es wurde wirklich sehr wenig erzählt, manches nur angedeutet, aber alles nur sehr oberflächlich und nicht wirklich ausführlicher als man es in einer Viertelstunde auch in einem entsprechenden Wikipedia-Eintrag lesen könnte. 

Ich weiß, dass viele Informationen noch unbekannt sind zu Mata Hari, aber da erwarte ich bei einem Roman ein gewisses Maß an künstlerischer Freiheit, diese mit Phantasie aufzufüllen, wie es leider hier nur sehr selten geschah, z. b. bei einem Säckchen Samen, um die eine kleine Anekdote gewoben wurde. 

Was bleibt für die 3 Sterne, tja, einige Szenen, richtige lebendige Szenen, in denen Mata Hari für einige Leseminuten wirklich vor dem geistigen Auge auferstand, z. B. ihre Hinrichtung am Anfang des Buches, ihre Erfindung des Schleiertanzes und ihre Flucht aus Berlin. 

Daneben gibt es natürlich den typischen Coelho-Stil, der einfach angenehm zu lesen ist, selbst wenn er dabei nicht viel erzählt oder oberflächlich bleibt. Coelho-Fans, diesen Erzähstil lieben, dürfte das Buch daher aufgrund dessen schon gut finden.

Mata Hari bleibt weiterhin die große Unbekannte. Wenn sie so war wie von Coelho kreiert, dann war sie meiner Meinung nach entgegen des Werbetextes leider eine sehr negative Persönlichkeit, weit entfernt von der starken, unabhängigen, modernen Frau, sondern eher naiv, arrogant, sich selbst überschätzend, weltfremd mit einer gewissen Bauernschläue, was irgendwie so gar nicht zu meinen Erwartungen passte.

Mein Fazit daher: Eher enttäuschend. Ich hatte einfach mehr und vermutlich auch etwas anderes erwartet. Ob ich das Buch nun empfehlen soll oder nicht, keine Ahnung, am besten macht sich jeder selbst ein Bild vom Text (dabei am besten vom Mittelteil, weil wie gesagt, der Anfang sehr gelungen ist, es danach aber eher enttäuschend wird).