Rezension

Ein Buch, wie ich es noch nie gelesen habe. Großartig.

Der Verräter - Paul Beatty

Der Verräter
von Paul Beatty

Paul Beatty öffnet in diesem Roman die Landkarte genau über dem Örtchen Dickens. Ein zu Los Angeles eingemeindeter Ort, der früher größenteils schwarz, nun mit anderen Minderheiten durchsetzt ist. Der Ich-Erzähler des Romans, welcher Der Verräter genannt wird, lässt nach und nach zu, dass ein alter Kautz aus der Nachbarschaft zu seinem Sklaven wird und arbeitet später aktiv daran durch subtile Aktionen die Rassentrennung wieder einzuführen, um die Lebensqualität der Bewohner wieder zu steigern. Erstaunlicherweise gelingt dies im Verlauf des Romans immer besser. 

Und dies ist auch die Stelle, an dem der Roman eins der vielen Tabus bricht. Nämlich die These aufzustellen, dass eine verbotene Rassentrennung nicht Gleichheit bedeuten muss und somit das erneute Ziehen von Grenzen auch Verbesserungen innerhalb einer Community bringen kann. 
Stilistisch vermittelt Beatty dies durch eine hervorragend präzise Sprache. Er erschafft ausufernde Sätze von bestechender Intelligenz und Schlagkraft. Man möchte jeden einzelnen Satz dreimal lesen, um auch wirklich jede darin liegende Bedeutung zu erfassen. Gefühlt ist jeder Satz in diesem Roman wichtig, nichts darf auch nur leicht unkonzentriert überflogen werden, sonst würde man einen wichtigen doppelten Boden vielleicht übersehen. Hier ist die deutsche Übersetzung von Henning Ahrens besonders hervorzuheben. Die Sprache wechselt von detaillierten wissenschaftlich-psychologischen Betrachtungen übergangslos zu grasverrauchtem Philosophieren. Wirklich großartig. 
Die Tatsache, dass der verstorbene Vater des Protagonisten wissenschaftlich arbeitender Psychologe gewesen ist, dessen obskuren Experimente wir in Rückblicken erzählt bekommen, ist ein toller Schachzug. So können intraindividuelle wie auch Inter/Intragruppen-Prozesse auf wissenschaftlich immer korrekte Weise verdeutlicht werden. Für den lesenden Psychologen sind auch immer mal wieder sehr gute Insiderwitze über z.B. die APA mit dabei.
Der Roman schafft es, dass sich der Leser Fragen stellt, die er sich aufgrund von häufig selbst auferlegter political correctness nicht zu fragen traute. Auch als weißer deutscher Leser werden mir so Themen und Standpunkte nahe gebracht, die wenig mit unserer Lebenswirklichkeit hier zu tun haben. 
Ich finde dieses Buch absolut empfehlenswert, weil man nicht nur eine Menge lernt, sondern auch eine Menge lacht. Gut unterhalten zu werden und gleichzeitig wichtige Denkanstöße bezüglich Rassismus etc. zu bekommen, passiert einem nicht häufig auf so unglaublich hohem Niveau. Paul Beatty hat hierfür vollkommen verdient als erster Amerikaner den britischen Man Booker Prize erhalten und ich habe mir gleich frühere Veröffentlichungen gesichert, um meine bisherige Unkenntnis dieses grandiosen Autors schnellstmöglich aus der Welt zu schaffen.