Rezension

Ein Buch zum Nachdenken und Genießen.

Cold Spring Harbor - Richard Yates

Cold Spring Harbor
von Richard Yates

Bewertet mit 5 Sternen

Allgemeines:

Richard Yates lebte von 1926 bis 1992. Er gehört zu den wichtigsten amerikanischen Schriftstellern des 20. Jahrhunderts. Wie bei vielen berühmten Autoren wurde sein Werk erst nach seinem Tod in der Öffentlichkeit wahrgenommen. Yates war ein exzellenter Beobachter des Alltagslebens mit all seinen Facetten, das in all seinen Romanen beherrschendes Thema ist. Er hält der Gesellschaft auf nüchterne und unspektakuläre Art den Spiegel vor. Das macht sein Werk so wertvoll. Cold Spring Harbor erschien 1986 auf Englisch und ist sein letzter Roman. Auf Deutsch erschien es zunächst als gebundenes und im September 2017 als Taschenbuch. Es umfasst 234 Seiten.

Inhalt:

„Ein Roman über Väter und Söhne, Mütter und Töchter, die Liebe und die Fehler der Jugend. Meisterhaft und mit nur wenigen Pinselstrichen gelingt es Richard Yates, »einem der wichtigsten amerikanischen Autoren des 20. Jahrhunderts« (FAZ), psychologische Fallstricke, Lebenslügen und Selbstbetrug im Amerika der 1940er-Jahre aufzudecken – und dabei doch immer auch ein Herz für seine Figuren zu haben.“ (Quelle: Verlagsgruppe Random House)

Meine Meinung:

Ich habe schon einige Bücher von Yates gelesen: Zeiten des Aufruhrs, Elf Arten der Einsamkeit und Eine strahlende Zukunft. Allen Büchern ist gemeinsam, dass sie Beziehungen zwischen Menschen, Mann und Frau, Müttern und Söhnen, Vätern und Töchtern, Müttern und Töchtern und Vätern und Söhnen in der amerikanischen Gesellschaft thematisieren. Das hört sich unspektakulär an. Ist es aber nicht. Yates legt immer den Finger in die Wunde, deckt schonungslos auf, was schief läuft in der amerikanischen Gesellschaft. Er schildert beiläufig Alltagsszenen, die in ihrer Banalität jedem bekannt sind, in seinen Romanen aber immer zu Eskalationen führen. Dieses geschieht fast unbemerkt, das nimmt den Leser gefangen.

„Alle Sorgen wegen Evan Shephards rüpelhaften, pubertären Verhaltens waren überstanden, als er 1935, mit siebzehn, für Automobile entflammte. Das unablässige Schikanieren schwächerer Jungen, die plumpen Beleidigungen gegenüber Mädchen, seine stümperhaften, peinlichen Bagatelldelikte – nichts davon spielte mehr eine Rolle, außer als unangenehme Erinnerung.“ (S. 7)

So beginnt Cold Spring Harbor.

Yates erzählt die Geschichte einer Kleinfamilie. Er früherer Berufssoldat, der gerne mehr darstellen möchte als er ist. Sie, eine verblühte Schönheit, die desillusioniert vom Leben psychische Erkrankungen entwickelt und der Sohn, vermeintlich geläutert. Die Shepards repräsentieren die amerikanische Mittelstandsfamilie der 1940 Jahre. Materiell haben sie nichts auszustehen, emotional aber scheint es nicht rund zu laufen. Geschildert wird Alltägliches, das Leben plätschert so dahin. Veränderungen geschehen unmerklich und nicht immer zum Guten. Das Leben der Familie ist eigentlich immer schon schwierig, aber keiner will es sehen. Die Mentalität des Wegduckens wird in Cold Spring Harbor eindrucksvoll beschrieben. Gleiches gilt für die weitere Handlung: Ein Familienleben beginnt zunächst zu bröckeln…  Im Fokus steht der Lebensweg des Sohns der Familie, Evan. Wer will nicht nur das Beste für sein Kind? Wir werden sehen, wie das klappt.

Berichtet wird aus der Perspektive des auktorialen Erzählers. Diese Erzählperspektive unterstreicht den nüchternen Erzählstil Yates‘. Er schreibt wirklich kein Wort zu viel, alles ist wichtig und das, was zunächst nicht wichtig erscheint, wird wichtig! Truman Capote, Ernest Hemingway – an diese großen Schriftsteller kommt Yates locker ran.

Fazit:

Yates schreibt über den amerikanischen Alltag wie er sich in den 1940er bis 1980er Jahren darstellt. Alles ist übertragbar in die heutige Zeit, bei Weitem nicht nur in Amerika. Und alles ist hochaktuell! Kein Buch, wenn man Spektakuläres erwartet, sondern ein Buch zum Nachdenken und Genießen.