Rezension

Ein einfühlsamer Roman über eine starke, kluge Frau, die an ihrem Selbstverlust zerbrach

Mileva Einstein oder Die Theorie der Einsamkeit - Slavenka Drakulic

Mileva Einstein oder Die Theorie der Einsamkeit
von Slavenka Drakulic

Bewertet mit 5 Sternen

Im Schatten des Genies

Bei ihr stehen zumeist starke Frauen im Vordergrund. Kluge Frauen voller Kreativität, die am Beginn einer vielversprechenden Karriere stehen, aber deren Leben an der Seite eines berühmten Genies tragisch endet. Die kroatische Schriftstellerin Slavenka Drakulić hat in ihrer einzigartigen Fiktion bereits die Geschichte zweier Frauen dieses Kalibers thematisiert, deren Liebe zu einem exzentrischen Künstler ihrer Zeit in Selbstaufgabe mündete: Die bedeutende Malerin Frida Kahlo und ihre bedingungslose Hingabe zu Diego Rivera ("Frida", 2007) sowie die bekannte Fotografin und Malerin Dora Maar und ihre obsessive Leidenschaft für Pablo Picasso ("Dora und der Minotaurus", 2016).

In den Fokus ihres neuesten Werkes stellt Drakulić erneut eine äußerst intelligente Frau und studierte Physikerin, die jedoch an der Seite ihres namhaften Mannes gar nicht wahrgenommen wurde und die ihr zugeteilte Rolle der Ehefrau und Mutter schweigsam absorbierte, bis sie daran zerbrach: Mileva Einstein, die erste Frau des Physik-Nobelpreisträgers Albert Einstein. Ihr Leben im Schatten des omnipräsenten Wissenschaftlers, das die Autorin mit großem Einfühlungsvermögen aus Milevas Sicht erzählt, beginnt im siebten Himmel und endet in der absoluten Hölle – ein psychisches Martyrium, dem nicht einmal die Scheidung ein Ende setzen kann. Was ihr letztendlich bleibt, ist ein existentieller Scherbenhaufen, eine zerstörerische Lethargie und ein Verlust, der zu groß ist, um ihn jemals bewältigen zu können…

Auf dem Tiefpunkt

Der Roman beginnt mit einem entscheidenden Tiefpunkt in Milevas Leben. Ihre Ehe mit Einstein steht nach elf Jahren vor dem Aus. Noch schlimmer als die Trennung, die jedoch nicht öffentlich bekannt werden soll, ist die Verachtung und Ignoranz, die ihr seitens Albert unverhohlen entgegenschlägt. Er wagt es sogar, ihr einen Forderungskatalog für ihr Verhalten bei gelegentlichen Besuchen zu übermitteln, der u.a. folgende Anweisungen enthält:

"Du sorgst dafür, dass meine Kleider und Wäsche ordentlich in Stand gehalten werden; dass ich die drei Mahlzeiten im Zimmer ordnungsgemäß vorgesetzt bekomme … Du hast weder Zärtlichkeiten von mir zu erwarten noch mir irgendwelche Vorwürfe zu machen."1

Natürlich übergibt er diese Bedingungen Mileva nicht persönlich. Nein, er lässt diese für ihn unschöne Aufgabe von einem Kollegen erledigen, denn Mut gehört nicht zu den Qualitäten des Konfliktvermeiders, der den Schein unbedingt wahren möchte. Dabei kursieren längst Gerüchte, dass er in seine Cousine Elsa verliebt und mit ihr bereits verbandelt sein soll.

Wehmütiger Rückblick

Mileva bleibt bei aller Demütigung nichts anderes übrig, als auf Alberts Forderungen einzugehen, denn sie und ihre zwei Söhne, Hans Albert (10) und Eduard (4), sind finanziell gänzlich von ihm abhängig. Immer häufiger ist sie deprimiert und würde am liebten nicht mehr aufstehen, doch für ihre Kinder will sie stark sein. Aber wozu? Ihr eigenes Leben, ihre vielversprechende Laufbahn als Physikerin hat sie zugunsten von Alberts Karriere aufgegeben.

Wehmütig denkt sie an ihre Studienzeit zurück, als sie und Albert sich kennenlernten. Beide waren Außenseiter und schienen wie für einander geschaffen: Mileva, die Hinkende, die seit frühester Jugend Zielscheibe des Spotts ihrer Mitmenschen war, und Albert, der bizarre Junge mit den strubbeligen Haaren, dessen Sarkasmus und verletzende Witze ihn in seiner Studiengruppe relativ unbeliebt machten.

Doch Mileva versteht ihn wie keine andere und nimmt ihn stets in Schutz. Beide können stundenlang über wissenschaftliche Theorien diskutieren und dabei alles um sich herum vergessen. Mileva leistet ihm fachkundig Hilfestellung und unterstützt ihn bei allen Aufgaben. Für Albert ist sie eine gleichberechtigte Partnerin, die ihn geistig fordert. Dass sie hinkt, stört ihn in keiner Weise, er thematisiert es nicht. Mileva liebt ihn dafür und blüht in seiner Anwesenheit regelrecht auf. Als die beiden schließlich heiraten, sieht sich Mileva am Ziel ihrer Wünsche.

Schleichende Entfremdung

Doch das junge Glück hält nicht lange. Ein schwerer traumatischer Verlust, der sie beide betrifft, aber der nur Mileva in tiefe Verzweiflung stürzt, belastet ihre Ehe. Als sie jedoch ihre Kinder bekommt, fasst sie sich eine Zeit lang wieder. Aber Alberts beruflicher Aufstieg verstärkt die schleichende Entfremdung des Ehepaars, die Mileva nicht wahrhaben will. Er verbringt immer mehr Zeit ohne sie und die Kinder. Denn mit dem Erfolg kommen die Frauen: Albert wird umschmeichelt und ist nicht mehr länger nur eine Randfigur. Das stärkt sein Selbstbewusstsein – bis zur Überheblichkeit. Mileva zieht sich gekränkt zurück und verfällt wieder in Depressionen.

Desillusionierter Rückzug

Nach ihrer Trennung von Albert zieht Mileva mit ihren Kindern zurück nach Zürich. Ihre depressiven Phasen nehmen zu und ihr permanent kränkelnder Körper reflektiert ihre Seele, die Stück für Stück zerbricht. Ihre völlige Selbstaufgabe fordert ihren Tribut – die Einsamkeit, die ganz von ihr Besitz ergriffen hat, frisst sie auf. Doch sie darf nicht aufgeben, denn bei Sohn Eduard wird eine schwere psychische Erkrankung diagnostiziert. Mileva nimmt nochmals all ihre Kraft zusammen, doch reicht sie aus, um ihrem Leben wieder einen Sinn zu geben?

Ein einfühlsamer Roman über eine starke, kluge Frau, die an ihrem Selbstverlust zerbrach

Mit "Mileva Einstein oder Die Theorie der Einsamkeit" ist Slavenka Drakulić ein großartiger, sehr berührender Roman gelungen, der die ganze Lebenstragik einer Frau offenbart, deren Liebe in völliger Selbstaufgabe endete. Mit viel Empathie und einem brillanten Gespür für die leisen Untertöne menschlicher Befindlichkeiten lässt uns die Autorin teilhaben an Milevas Gedankenwelt, an ihrer innigen Zuneigung zu Albert, ihren Hoffnungen und Träumen, aber auch an ihren Selbstzweifeln und Dämonen, die sie ihr Leben lang verfolgten. Mit einer einfachen, klaren Sprache macht Drakulić Milevas zunehmende Einsamkeit und Verzweiflung spürbar, ohne dabei in Rührseligkeit zu verfallen.

Aber die Autorin macht auch deutlich, dass Mileva nicht allein an ihrem Selbstverlust zerbrach. Als eine der ersten Physikstudentinnen der damaligen Zeit, in der Frauenbildung in der Gesellschaft einen Sonderstatus hatte, wurde sie misstrauisch beäugt. Eine eigene Karriere für Frauen war undenkbar, sie hatten ausschließlich mit Ehegatten eine Daseinsberechtigung. So bleibt auch Mileva im Grunde nur die Passivrolle, in der sie stumm ausharrt – eine Tatsache, die sie sich später immer wieder vorwirft. Ihre Unfähigkeit, sich zu wehren und ihren eigenen Weg zu gehen, rührt somit auch von der Rigidität einer patriarchalisch geprägten Gesellschaft, an der jede Form der weiblichen Auflehnung abprallt.

Die Lebensbilanz, die Mileva am Ende zieht, ist bitter. Für ihre aufopferungsvolle Liebe und ihren Verzicht auf Selbstverwirklichung hat sie den höchsten Preis gezahlt – einen Preis, der es nicht wert war.

Mein Fazit: Ein unbedingtes Must read – wie alle Romane von Slavenka Drakulić!

Zitat1: Deutsche Ausgabe, S. 6 (Auszug)