Rezension

Ein feines frühes Werk von Jane Austen

Northanger Abbey - Jane Austen

Northanger Abbey
von Jane Austen

“Northanger Abbey” ist einer der frühen Romane der Schriftstellerin Jane Austen. Er wurde bereits zwischen 1798 und 1803 verfasst, aber erst posthum veröffentlicht. Es handelt sich hierbei um eine Gesellschaftssatire auf die damalige Schauerroman-Mode und zugleich um einen Entwicklungsroman.

Der Roman handelt von der siebzehnjährigen Catherine Morland. Sie ist die Tochter einer sehr kinderreichen Pfarrersfamilie. Zunächst wird ihre Kindheit beschrieben. Sie war ein recht wildes, manchmal zur Aufmüpfigkeit neigendes Mädchen, dass erst mit etwa fünfzehn langsam ruhiger und verständiger wurde. Inzwischen ist sie eine recht hübsche, aber unscheinbare Jugendliche, die sich in den Fantasiewelten ihrer Schauerromane tagträumend verliert.

Dank der sehr reichen Allens, enge und kinderlose Freunde der Familie, eröffnet sich für Catherine die Möglichkeit ihre ersten gesellschaftlichen Erfahrungen in Bath zu sammeln. Sie soll als Gesellschafterin von Mrs. Allen den Sommer über in dem berühmten Kurort verbringen. Dort angekommen muss sie jedoch ernüchtert feststellen, dass ihr der Einstieg ins gesellschaftliche Leben sehr schwer fällt. Sie fühlt sich sehr unbeholfen in den öffentlichen Hallen und Mrs. Allen kann in den ersten Tagen keine Bekannten entdecken, denen sie sich anschließen können. Durch einen glücklichen Zufall wird Catherine eines Abends von einem jungen charmanten Mann zum Tanzen aufgefordert. Mr. Tilney ist freundlich und humorvoll, wodurch sich Catherine schnell bei ihm wohlfühlt. Sie verbringen einen sehr netten Abend miteinander und in Catherines Fantasie entspinnen sich bereits erste romantische Gedanken. Doch in den nächsten Tagen hält sie vergeblich nach ihm Ausschau.
Doch sie und Mrs. Allen bleiben nicht lange allein, denn eine alte Schulfreundin Mrs. Allens und deren älteste Tochter treffen in Bath ein. Catherine und Isabella freunden sich sofort an und sind nach kurzer sehr innig miteinander. So steigern sie sich gemeinsam regelrecht in ihre Leidenschaft für Schauerromane wie “Der Mönch” von Mrs. Radcliff hinein.
Catherines Faszination für gruselige alte Schlösser gipfelt schließlich im zweiten Teil des Buches, wenn sie von Mr. Tilney und dessen Familie in deren Zuhause, einer alten Abteil – der Northanger Abbey – eingeladen wird und sie dort Geister und grausame Morde vermutet.

Im ersten Teil des Buches sind Handlung und Stimmung sehr stark von dem munteren Treiben in Bath und den Vergnügungen der jungen Leute (Catherines und Isabelles Brüder, sowie Tilney und seine Geschwister sorgen für ein wildes Hin und Her bei Catherine) geprägt. Der zweite Teil ist ungleich düsterer. Mit der Reise zur Abtei beginnen bei Catherine dunkle Vorahnungen, sie erfährt von einem mysteriösen Tod und entdeckt eine alte geheimnisvolle Truhe.

Catherine verliert sich wiederholt in unterschwellig erotischen Tagträumen, die mit den Klischees der Schauerromane spielen. Ich war sehr überrascht, dass eine Autorin des 19. Jahrhunderts so etwas thematisiert, doch als ich mich etwas mit “Der Mönch” und anderen Schauerwerken der Zeit auseinander gesetzt hatte, hat es mich nicht weiter gewundert. “Shades of Grey” trifft auf “Twighlight” ;)
Verglichen mit dem heutigen Vampir-Hype in der Jugendliteratur finde ich es beeindruckend, wie stark sich die Geschmäcker von Jugendlichen in den letzten 200 Jahren kaum geändert haben. Leichter Schauer, viel Schema, Mysteriöses, Übersinnliches und Leidenschaft. Wie heißt es so schön? Es kommt alles wieder!

Für mich ist Tilney einer der sympathischsten von Austens männlichen Protagonisten. Er ist freundlich, eloquent und humorvoll. Im Gegensatz zu vielen anderen Figuren in der Austen-Welt macht er ziemlich deutlich, dass er Catherine mag und gern Zeit mit ihr verbringt – einfach gerade heraus. Und sowas im 19. Jahrhundert! Wenn man ihn neben Darcy stellt, wirkt dieser wie ein völliger Griesgram mit – verzeiht, Blasphemie – Stock im Arsch.
Ich gebe zu, dass es etwas schwierig ist, sich mit den literaturtheoretischen Überlegungen, den satirischen Seitenhieben Richtung Radcliff und Co. und dem ständigen Wechsel von Gedankenwelt einer Siebzehnjährigen zu Romanstruktur reflektierenden Metaebenen-Erzähler auseinander zu setzen. Wer sich nicht mit Romantheorie und Schauerromanen des 19. Jahrhunderts zumindest in groben Zügen auskennt, der ist vermutlich bei “Emma” besser aufgehoben. Es ist gewiss nicht der einfachste Roman von Austen. Die liebevollen Charaktere und die Einblicke in das schillernde Leben in Bath lohnen sich aber!