Rezension

Ein schonungsloses, ehrliches, berührendes Buch!

Ich trug das Meer in Gestalt eines Mädchens - Kelle Groom

Ich trug das Meer in Gestalt eines Mädchens
von Kelle Groom

Bewertet mit 3.5 Sternen

Kelle Grooms Buch ist das was im englischsprachigen Raum "A memoir" genannt wird und sich dort auch, anscheinend im Gegensatz zu Deutschland, gut verkauft - Erinnerungen. Hier hat der Verlag die Bezeichnung "Roman" gewählt, nicht ganz glücklich. Denn "Ich trug das Meer in Gestalt eines Mädchens - übrigens ein ganz wunderbarer Titel, der zum Glück beibehalten wurde - ist genau das: Erinnerungen. An die unstete Kindheit, geprägt durch ständige berufsbedingte Umzüge, die eher harte Mutter, die mit Alkoholkranken reichlich gesegnete weitere Verwandschaft. An das mangelnde Selbstwertgefühl, an die große Sehnsucht nach - auch körperlicher- Nähe in der Pubertät und an erste Erfahrungen mit Alkohol mit 15. Mit Alkohol im Blut fand die Autorin plötzlich zu sich, konnte sich ausdrücken, dazugehören. Sehr bald verliert sie die Kontrolle darüber, ein Absturz folgt dem nächsten, ein Entzug dem anderen, Männer wechseln so häufig, dass viele noch nicht einmal einen Namen erhalten in der Rückschau. Mit 19 wird Kelle Groom schwanger, sie traut es sich nicht zu, das Kind gut zu versorgen. stimmt einer Adoption durch ihre Tante zu. Doch die Trauer um den Verlust des Sohnes wiederholt sich auf dramatische Weise, als dieser mit 14 Monaten an Leukämie stirbt. Kelle rutscht noch tiefer ab und kann sich erst sehr langsam, nach etlichen Rückschritten, z.T. auch mittels ihres Talents als Lyrikerin, aus dieser Sucht befreien und die lange unterdrückte Trauer um ihren Sohn aussprechen, darüber reden und ansatzweise verarbeiten.

Genauso unstet und unruhig wie sich dieses Leben anhört, wird es auch erzählt. Sprunghaft, assoziativ wechselt die Autorin die Zeiten, auch inmitten eines Kapitels. Rückgriffe, Vorgriffe, wie wenn man jemanden sein Leben erzählt oder auch sich seines eigenen Lebens beim Erinnern vergewissert. So ist das Buch sicher auch eine Selbstvergewisserung der Autorin, eine Suche nach dem Mädchen, das sie war, der Mutter, die sie nicht hat sein dürfen und natürlich nach ihrem kleinen Sohn, den sie nie hat kennenlernen dürfen. Das macht es dem Leser nicht unbedingt leicht, ist aber authentisch. Dazu kommt eine wunderbare Sprache, die die Lyrikerin verrät.

Ein schonungsloses, ehrliches, berührendes Buch!