Rezension

Ein wichtiges Buch wider das Vergessen

Das Wolfsmädchen -

Das Wolfsmädchen
von Christian Hardinghaus

Bewertet mit 5 Sternen

Christian Hardinghaus, bekannt durch seine Sachbücher, die sich mit Zeitzeugen des Zweiten Weltkrieges beschäftigen, hat sich in diesem, seinem neuen Buch, mit einer kleinen Gruppe von Betroffenen der NS-Diktatur beschäftigt. Nämlich mit jenen Kindern, die 1945/46 aus dem ehemaligen Ostpreußen vor den sowjetischen Truppen nach Litauen geflohen sind, dort anfangs freundlich aufgenommen worden sind und letztlich zwischen die Fronten rivalisierender Gruppen geraten sind, und sich in die Wälder geflüchtet haben: Die Wolfskinder. Stellvertretend für die kleine Gruppe erzählt Ursula Dorn ihre Geschichte.

 

Ursula ist 10 Jahre als Königsberg 1945 von den Alliierten in Schutt und Asche gelegt wird. Doch die größte Gefahr droht von der sowjetischen Armee, die durch die zerstörte Stadt zieht, und Rache an der deutschen Bevölkerung nimmt. Während ihre Mutter Martha sich weigert die Stadt mit Ursulas anderen Geschwistern die Stadt zu verlassen, ergreift Ursula die nächstbeste Gelegenheit und springt auf einen Güterzug auf, ohne zu wissen wohin die Reise geht. Sie landet in Litauen, schlägt sich durch und wird aufgepäppelt.

 

Verantwortungsbewusstsein und Sehnsucht nach der Familie lässt sie im Hungerwinter 1946 nach Königsberg zurückkehren. Sie findet die lethargische Mutter und die fast verhungerten Geschwister an. Auf Grund des schlechten Gesundheitszustandes bleiben die Geschwister in der Obhut der Nachbarin zurück. Erst später wird Ursula erfahren, dass nur ihr Bruder Heinz überlebt haben wird. Zurück in Litauen ist das Leben schwieriger geworden, zumal Martha sich weigert zu arbeiten und Ursula Nahrung für zwei herbeischaffen muss.

 

Letztlich werden Ursula und Martha aufgegriffen und in die neu entstandene DDR ausgewiesen. Das ist zwar besser als die drohende Deportation nach Sibirien, aber Ursula muss nach wie vor für sich und ihre Mutter sorgen, die nur von einer Zigaretten zur anderen denkt. Schnell erkennt Ursula, dass sie eine Diktatur gegen eine andere eingetauscht hat. Sie passt sich scheinbar an und nimmt die erste Gelegenheit zur Flucht zu ihrem Bruder Heinz in den Westen wahr.

 

Meine Meinung:

 

Wie schon in seinen anderen Sachbüchern wie z.B. „Die verlorene Generation“, „Die verratene Generation“ oder „Die verdammte Generation“ nimmt sich Christian Hardinghaus aller jener an, deren Geschichten niemand (mehr) hören mag.

 

Für dieses Buch hat er zahlreiche Interviews mit Ursula Dorn, die ihr Leben selbst in zwei Bücher gefasst hat und damit einige ihrer Traumata aufgearbeitet hat, geführt. Daneben wird Ursulas Geschichte in den historischen Kontext gestellt, ohne belehrend zu wirken. Das ist die große Stärke des Autors: Wissen vermitteln, Vorurteile ausräumen und die Kriegsgräuel sachlich darstellen, ohne Sensationslust oder zu werten. Manche Szenen lassen den Atem der Leser stocken, wenn sie von Kriegsverbrechen lesen, die damals verübt worden sind. Gleichzeitig weist der Autor in seinem Vorwort auf die Ähnlichkeiten, die aktuell in der Ukraine passieren, hin.

 

Ich muss Ursula Dorn mit Hochachtung begegnen und ihr Tribut zollen, dass sie ihre Lebensgeschichte erzählt. Es ist über viele Ereignisse beharrlich geschwiegen worden, weil sie erstens niemand hören wollte und zweitens, weil sie einfach so schrecklich waren.

 

Im Kapitel „Wolfskindschicksale“ beleuchtet Christian Hardinghaus noch weitere

Wolfskinder und den schändlichen Umgang der deutschen Behörden bis heute mit ihnen. Interessant ist das Wirken von Wolfgang von Stetten und seinem Verein „Edelweiß“, der ebenso wie Christian Hardinghaus jener Gruppe von Personen eine Stimme gibt.

 

Fazit:

 

Ein weiteres Buch wider das Vergessen, das noch lange nachhallt. Gerne gebe ich hier eine Leseempfehlung und 5 Sterne.