Eine außergewöhnliche Familiengeschichte
Bewertet mit 5 Sternen
Dieses Buch hat mich überrascht, meine Erwartungen komplett über den Haufen geworfen und mich bis zur letzten Seite gefesselt. Ich hatte zwar eine Familiengeschichte mit Höhen und Tiefen erwartet, aber keine solchen Tragödien.
Die Geschichte der Birds wird auf verschiedenen Erzählebenen aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt und zieht sich über 30 Jahre. Zum einen gibt es den Briefwechsel von Lorelei und Jim – ihrer Onlineliebe, die sie kurz vor ihrem Tod noch findet, die Gegenwartsebene, in der die Familie nach und nach zusammenkommt, um das Haus auszuräumen, und die Vergangenheit, die von 1981 bis 2011 nach und nach erzählt wird. Zumeist aus der Sicht von Megan, teilweise aber auch von Bethan und Rory. Trotz der Wechsel fällt es nicht schwer, der Geschichte zu folgen, da die Briefe und die Teile der Vergangenheit immer wunderbar zusammenpassen und chronologisch aufgebaut sind. Das finde ich persönlich sehr sympathisch, denn wildes Zeitgehüpfe ist zumeist eher anstrengend und unterbricht den Lesefluss.
Die Familie Bird wirkt am Anfang noch sehr glücklich, obwohl Lorelei schon da beginnt, einen Sammeltick zu entwickeln, der zumindest ihrer ältesten Tochter Megan und ihrem Mann Colin suspekt ist. Nach dem alles ändernden Osterfest verliert Lorelei jeglichen Halt, sodass sich Colin auch mehr und mehr von ihr distanziert. Die gegenseitigen Beschuldigungen und die eigenen Schuldgefühle drängen die Familie mehr und mehr auseinander. Weitere, tiefschürfende Ereignisse führen zu einem – so es scheint – endgültigen Bruch in der Familie. Es geschehen Dinge, die für einige Familienmitglieder sehr verletzend und eigentlich unverzeihlich sind.
Umso überraschender ist es, dass ausgerechnet Loreleis Tod und ihre „Brieffreundschaft“ zu Jim Licht ins Dunkel bringen, und die vergangenen Jahre aufgearbeitet werden können. Es ist so schön zu lesen, dass sich Vater und Geschwister nach langer Zeit endlich wieder in die Augen schauen und verzeihen können. Sie lernen tatsächlich aus ihrer Vergangenheit und kommen ihrem persönlichen Happy End näher – auch wenn nicht mehr alle Familienmitglieder am Leben sind.
Anfangs hatte ich das Gefühl, dass mich die Geschichte ziemlich runter zieht, denn es passieren einfach so viele furchtbare Dinge. Doch so nach und nach kommen auch immer wieder positive Erlebnisse und man hat immer mehr das Gefühl, es gibt ein positives Ende. Liebe, Trauer, Wut, Neid - all diese Gefühle finden sich wohl in jeder Familie, mal mehr, mal weniger stark ausgeprägt. Aber wie viele Familien sind schon durch ein einziges Ereignis in die Brüche gegangen. Offenbar liegt es in der menschlichen Natur, dass unsere Beziehungen immer etwas kompliziert sind, und das auf allen Ebenen: Familiär, partnerschaftlich, freundschaftlich...
Bei der Familiengeschichte der Familie Bird kann man sich den Verlauf richtig schön bildlich vorstellen als Netz oder Geflecht: Aus verschiedenen Knoten und Fäden besteht erst ein dichtes Netz, dass dann weitmaschiger wird, die Fäden verknüpfen sich neu und laufen am Ende wieder zusammen. Okay, das Bild habe ich aus einem anderen Buch...aber davon erzähle ich euch ein anderes Mal.
Ich möchte euch natürlich nicht zu viel verraten. Nur eines noch: Zum Ende hin war ich so gespannt, endlich zu erfahren, was an dem Tag vor dem tragischen Osterfest passiert ist. Ich war so neugierig und musste immer weiter lesen. Die Auflösung kommt tatsächlich erst ganz kurz vor Schluss. Gemein, aber gut.
Fazit:
Lasst euch nicht täuschen: Auch wenn am Anfang alles ziemlich negativ und deprimierend ist, es wird im Lauf des Buches besser, denn nach und nach versteht man die Zusammenhänge. Insgesamt ist das Buch dann doch ein ganz dickes „Ja“ zur Familie. Und die Familie Bird verbindet eine wirklich außergewöhnliche Historie. „Der Flügelschlag des Glücks“ macht auch ziemlich nachdenklich, zeigt das Buch doch, wie zerbrechlich das Verhältnis zwischen Familienmitgliedern ist.
Wenn ihr dramatische Familiengeschichten mögt, seid ihr bei Lisa Jewells Buch auf der sicheren Seite. Hier findet ihr 442 Seiten voller Liebe, Dramatik, Trauer, Verrat, Schuldzuweisungen, Missverständnissen, Neuanfängen... Das volle Programm! Ich wünsche euch gute Unterhaltung und würde mich freuen, von euch zu hören, wie es euch gefallen hat.