Rezension

Eine Geschichte, die sich mit einem schwierigen Thema beschäftigt

Emmy & Oliver - Robin Benway

Emmy & Oliver
von Robin Benway

Ein Schicksalsschlag kann ein ganzes Leben verändern und fühlt sich an wie ein Riss, der sich nie wieder schließen lässt. Auch Emmy hat diese Erfahrung machen müssen, denn nachdem der Nachbarsjunge Oliver vor zehn Jahren entführt worden ist, wurde sie seither von ihren Eltern in Watte verpackt und überbehütet. Partys und Hobbys, die für siebzehnjährige Teenager völlig normal sind, gelten für sie als ein komplettes Tabu. Auch nachdem das eintritt, was alle hofften, aber niemand mehr für möglich hielt: Nach zehn langen Jahren des Bangens wurde Oliver gefunden und versucht nun in sein altes Leben zurück zu finden. Aber wie soll man in ein Leben und in eine Familie zurückkehren, die sich nach den vergangenen Ereignissen nur noch fremd anfühlen?

Robin Benway hat sich für ihr neues Buch „Emmy & Oliver“ einer schwierigen Thematik angenommen, an der sich sicher schon einige Autoren die Zähne ausgebissen haben: Kindesentführung. Was geht in einem von seinem Vater entführten siebzehnjährigen jungen Mann vor sich, der nach zehn Jahren in sein altes Leben zurückkehren darf? Wie hat dieses Ereignis ihn und die, die er zurücklassen musste, verändert? Und was ist von dem Menschen übrig, der er einmal war?  Diese bedeutsame Problematik hat Benway mit einer erfrischenden, aber nicht zu seichten Liebesgeschichte verwoben, die jedoch nur einen kleinen Teil der Handlung für sich einnimmt.

Obwohl Oliver Dreh- und Angelpunkt dieser Geschichte ist, wird die Handlung aus der Sicht von Emmy erzählt. Sie schildert viele Ereignisse nach der Entführung und berichtet auf eindringliche Weise, wie ein kleiner bedeutsamer Moment ihr Leben wie ein Erdbeben erschütterte. Nur mit dem Unterschied, dass man bei einem Erdbeben weiß, warum die Welt aus ihren Fugen gerät. Sie berichtet darüber, wie schwer eine Rückkehr nach zehn langen Jahren sein kam, nachdem die ständige Sorge zu einem Teil von sich selbst geworden ist. Die Handlung wird jedoch nicht immer aus der Gegenwart wiedergegeben. Durch zahlreiche Rückblicke Emmys in die Zeit vor Olivers Entführung wird man vertrauter mit der Beziehung der Charaktere.

Auch wenn die literarischen Figuren älter geworden sind, scheint es, als hätte sich der Ort, aus dem Oliver damals entführt wurde, kaum verändert. Als hätte jemand die Zeit angehalten und alle mit der Sorge um Oliver verbunden. Besonders ist mir das bei Emmy aufgefallen, die sie sich gerne in ihren Erinnerungen an schönere Tage mit Oliver verliert und sich daran klammert.

Am interessantesten waren für mich die Begebenheiten um Oliver und seine Gewissenskonflikte. Er steht metaphorisch gesehen zwischen zwei Stühlen. Er möchte seine Mutter nicht verletzen und fügt sich holprig in sein altes Leben ein, das sich für ihn wie ein Fremdkörper anfühlt. Hinzukommt, dass er seinen Entführer - seinen Vater - sehr vermisst und er sich diese Gefühle verbietet und mit niemanden darüber sprechen mag. Alle haben sich verändert und er weiß nicht genau, ob er seinen alten Freunden vertrauen kann. Emmy, seine Sandkastenliebe, dringt auf bewegende Weise zu ihm durch, um seine mühsam aufgebaute Fassade zum Einsturz zu bringen.

Robin Benway hat einen dichten und schönen Schreibstil, der dem Leser das schwere Thema nahe legt, ohne ihn damit zu überfordern. Schon in den ersten Zeilen bekommt man ein Gespür für die Geschichte und fiebert mit. Man spürt die Verblüffung, nachdem Oliver gefunden wurde, die Unruhe vor seiner Rückkehr und die Freude, aber auch die Angst. Die dezente Liebesgeschichte und die vielen hitzigen und humorvollen Dialoge zwischen den Charakteren lockern das Geschehen auf. Ab und an waren mir diese Gespräche jedoch etwas zu locker und gewollt witzig. Auch wenn ich dafür eine gute Erklärung gefunden habe, missfielen mir einige Passagen, die dadurch an Tiefe verloren. Dafür konnte ich die vielen wunderschönen und poetischen Zeilen und die sehr emotionalen Momente zwischen Oliver und Emmy umso mehr genießen.

„Emmy & Oliver“ von Robin Benway ist eine besondere Geschichte über tief empfundene Freundschaft, die trotz einer großen Entfernung und einem scheinbar nicht zu schließenden Riss, einige Jahre Bestand hat.