Rezension

Eine Hommage an die Liebe

Wofür es lohnte, das Leben zu wagen - Hans Machemer, Christian Hardinghaus

Wofür es lohnte, das Leben zu wagen
von Hans Machemer Christian Hardinghaus

Bewertet mit 5 Sternen

Als im Morgengrauen des 22. Juni 1941 mehr als drei Millionen deutsche Soldaten unter dem Codenamen „Unternehmen Barbarossa“ ohne Kriegserklärung in der Sowjetunion einfallen, ist der Augenarzt Dr. Helmut Machemer darunter. Was ihn so besonders macht?

Er bräuchte aus Grund seines Alters und eines Standes (noch) gar nicht dabei sein. Helmut Machemer hat sich freiwillig zur Wehrmacht gemeldet, obwohl er dem Regime sehr reserviert gegenübersteht. Seine Frau Erna und die gemeinsamen Söhne gelten aufgrund der Nürnberger Gesetze als jüdische Mischlinge, da Erna, ohne dies jahrelang zu wissen, jüdischer Herkunft ist.

Machemer hat herausgefunden, dass ein arischer Reichsbürger auf den (durchaus seltenen) Gnadenakt von Adolf Hitler, eine jüdische Herkunft zu „arisieren“, hoffen darf, wenn entsprechende Gegenleistung vorhanden ist. In Machemers Fall wäre dies besondere Tapferkeit vor dem Feind und das „Eiserne Kreuz Erster Klasse (EK I)“.

Aus Liebe zu seiner Familie befindet er sich nun in der Aufklärungsabteilung der 16. Panzer-Division, fest entschlossen die entsprechenden Auszeichnungen zu erringen, um so seine Familie zu retten.

Meine Meinung:

Aus den zahlreichen Briefen, die in der Familie Machemer aufbewahrt worden sind, hat Hans Machemer, eine der drei Söhne, mit Unterstützung von Historiker Christian Hardinghaus ein beeindruckendes Dokument des deutschen Vorstoßes durch die Ukraine geschaffen.

Nach einer erklärenden Einleitung der beiden Autoren können die Leser gleich in das Leben von Dr. Helmut Machemer eintauchen. Die Briefe sind chronologisch geordnet und zu einigen sind Fotos erhalten, die das Leben im Feld dokumentieren.

Helmut Machemer schreibt in schnörkellosen, oft langen Sätzen (für die ihn seine Frau Erna, manchmal rügt) über den Alltag an der Front. Es sind Berichte über das Leben und Sterben in Russland. Machemer hat auch mit seinen Vorgesetzten ein wenig Glück. Sie wissen um seine Familiengeschichte und warum er als Arzt direkt an der Front und nicht dahinter in der Etappe arbeitet.

Hin und wieder kommt der Stolz, ein Deutscher zu sein, durch, wenn er die Logistik und/oder die Waffen lobt. Denn es ist schon eine logistische Herausforderung tausende Fahrzeuge über teils unbefestigte Wege zu bewegen. Immer wieder treffen sie auf russische Truppen, werden beschossen oder finden kaum Unterschlupf, da die Russen sie immer weiter in das Land hineinlocken, dabei aber die Taktik „der verbrannten Erde“ anwenden, d.h. Helmut und seine Truppen treffen nur auf zerstörte Dörfer.

Eine Zeit lang kommen sie recht gut vorwärts, doch als der Winter 1941 früh einsetzt und die Temperaturen auf minus 30 Grad fallen, fragt er sich, wo denn der Nachschub an Material oder die Winterkleidung bleibt. Hier spürt der geneigte und in diesem schrecklichen Kapitel der Geschichte bewanderte Leser, dass sich zwischen den Zeilen der eine oder andere berechtigte Zweifel am Vormarsch der deutschen Truppen in die Sowjetunion breitmacht.

Da er Angst haben muss, dass die Briefe abgefangen und gelesen werden, nennt er die Einsatzorte und Personen nicht mit vollem Namen. Außerdem ist er in seiner Ausdrucksweise sehr, sehr sachlich.

Im Gegensatz zu den Propagandafilmtrupps, die Kriegsszenen für die Wochenschau nachstellen, fotografiert und filmt Helmut auch zerstörtes deutsches Kriegsgerät bzw. tote und verwundete deutsche Soldaten. Oftmals sind die Fotos der Grabstellen die letzten Erinnerungen an einen geliebten Menschen fernab der Heimat. Brisantes Material, vor allem für seine Brüder, gibt er besonders vertrauenswürdigen Kameraden mit. Denn, sollten diese ungeschönten Aufnahmen des schrecklichen Krieges in falsche Hände geraten, wäre es sowohl um Helmut als auch um seine Familie geschehen.

Großes Augenmerk schenkt Helmut Machemer den vielen Päckchen und Briefen, die aus der Heimat an die Front kommen. Das ist schon erstaunlich, wie lange das Feldpostwesen noch funktioniert hat.

Durch seinen unermüdlichen Einsatz bekommt Helmut Machemer alle Auszeichnungen, die ihm als Unteroffizier zugänglich sind.

Am 15. Mai 1942, wenige Tage nach seinem 40. Geburtstag, erhält Helmut Machemer endlich das EK I.

Am 18. Mai 1942 wird er durch einen Granatsplitter am Kopf tödlich getroffen.

Am 17. März 1943 hat Adolf Hitler persönlich entschieden, dass Erna Machemer und ihre Kinder als „deutschblütig“ gelten. So ist Helmut Machemers sinnloser Tod nicht gänzlich umsonst gewesen.

Eine sehr eindrucksvolle Ergänzung ist auch die Begleit-DVD, in der Historiker Christian Hardinghaus einige der ausgesuchten Filmaufnahmen Helmut Machemers zeigt und kommentiert. Im Gegensatz zu den gestochen scharfen und teils farbigen Wochenschauaufnahmen des Goebbel‘schen Propagandaministeriums, sind Helmut Machemers Aufnahmen schwarz/weiß und grobkörnig. Sie scheinen nicht nachbearbeitet zu sein.   

Fazit:

Ein bewegendes Dokument, das eindrucksvoll zeigt, wofür es wirklich lohnte, sein Leben zu wagen. Nicht um den Größenwahn eines Einzelnen zu unterstützen, sondern um die eigene Familie zu retten.

Ich gebe dieser Dokumentation 5 Sterne und eine ausdrückliche Leseempfehlung.