Rezension

Eine Meisterleistung

Barrakuda - Christos Tsiolkas

Barrakuda
von Christos Tsiolkas

Für Christos Tsiolkas lag die Messlatte nach dem Bestseller „Nur eine Ohrfeige“ denkbar hoch. Nun ist sein nächster Roman erschienen, indem es im weitesten Sinne um Sport geht, eigentlich aber um verlorene Träume und dem Zurechtkommen im Alltäglichen. Keine einfache Aufgabe also. Den Mutigen gehört die Welt, das gilt für Tsiolkas ebenso wie für seinen Protagonisten Dan Kelly, der schon ihn Jugendtagen genau weiß, was er will: Bei der Heimolympiade in Sydney Olympiasieger im Schwimmen zu werden. Einer der Golden Boys zu werden, jener australischen Schwimmelite, die ohne Ende Goldmedaillen sammelt. Das Wasser ist sein Element, es ist seine zweite Haut, eine Erlösung aus der Mittelmäßigkeit, die Chance auf dem Podest zu stehen, statt von unten auf die Sieger herauf zu gaffen. Zunächst treibt Danny der Hass auf seine Konkurrenten, die Zöglinge wohlhabender Eltern sind bei weitem weniger Zielgerichtet, dafür aber fies. Der Platz an der Sonne ist Ihnen in die Wiege gelegt. Ehrfurchtsvoll nennen sie Danny Barrakuda oder Psycho Kelly, weil die Willensstärke und das Durchsetzungsvermögen des Arbeiterkindes den Absolventen einer höheren Schule Respekt abnötigt. Danny Kelly ist faul, wenn es um Mathe geht. Er wird zum Tier, wenn er vor einem Schwimmbecken steht, angetrieben von seinem Trainer entwickelt er einen galaktischen Ehrgeiz, dem alles untergeordnet werden muss, was lediglich sein skeptischen Vater bisweilen torpediert.

„Es gibt doch noch andere Dinge auf der Welt“..., sondert dieser bisweilen ab. Diese simple Wahrheit findet im Denkmodell seines Sohnes keinen Platz. Der will sein Stipendium nutzen, um auf einer Stufe mit seinen Mitschülern zu stehen. Im Grunde glaubt er nach den anfänglichen Erfolgen, er stünde dort bereits. Schließlich verbringt er gelegentlich sogar seine Freizeit mit den gelangweilten Burschen aus der Oberschicht. Es ist eine läppische Kleinigkeit, die Kelly seinen Traum kostet.

Christos Tsiolkas ist seit „Nur eine Ohrfeige“ Meister darin, sein Romanpersonal durch Lappalien ins Stolpern zu bringen und hinter die aufgebauten Fassaden zu blicken. In seinem ersten Buch erschütterte eine banale Ohrfeige die australische Mittelschicht. Hier sind es die Stunden vor dem Wettkampf, die nicht optimal verlaufen und eine Niederlage einläuten, die das geistige Grundgerüst für die Egomaschine Danny Kelly zum Einsturz bringt.

Eine Welt bricht für ihn, den besten und schnellsten Schwimmer seiner Altersklasse zusammen und die Reichen zeigen ihm von nun an die kalte Schulter. Danny Kellys Leben gerät aus den Fugen. Schließlich landet er sogar im Gefängnis, wo ein Lernprozess für ihn beginnt. Das einzige, was ihm eine ungefähre Peilung auf seinem Weg gibt ist seine Homosexualität und die Familie. Erfrischender weise zeichnet Tsiolkas seinen Helden nicht übertrieben sensibel oder besonders intelligent. Er siedelt also Danny Kelly in der Welt der Normalos an, ohne ihn intellektuell darüber zu stellen. Danny Kelly hat die Aggressivität eines Underdogs und einen gesunden Selbstbehauptungswillen, der ihn schließlich durch das Leben trägt.

Mich hat der Roman von der ersten Seite an gepackt. Phasenweise konnte ich das Buch gar nicht aus der Hand legen. Dieses Buch von Christos Tsiolkas finde ich noch besser, als seinen Bestseller Vorgänger. Mir hat es Danny wirklich angetan. Man lebt, liebt und leidet förmlich mit diesem Menschen, der authentisch daher kommt, als wäre es der eigene Bruder. Danny kommt ungeheuer facettenreich und vielschichtig daher. Das Buch hat ungemein tragische Momente, weil sich Tsiolkas weigerte eine der üblichen Aufsteigerstorys zu kredenzen. Viel lieber zeigt er das Scheitern und das emotionale taumeln eines jungen Mannes, der alles gemacht hat, wie es einem die Gesellschaft rät. Fokussiere dich auf ein Ziel und bleibe beharrlich am Ball, bis  du zu den Golden Boys deiner Berufsgattung gehörst, dann kann nichts schief gehen. Als wenn das Leben so einfach wäre....

Die Geschichte birgt mehrere Überraschungen, von denen eines das geniale Ende des Romans einleitet. Wie sich der Blick Dannys auf die Welt verändert, weg vom eigenen Bauchnabel, weg vom Hass, hin zur eigenen Mitte, davon erzählt dieser Roman in einer aufwühlenden Weise, wie sie das Buch-Jahr nur wenige Male im Jahr zu bieten hat.