Rezension

Eines meiner Lieblings-Bücher 2013

Ausnahmezustand - N.N

Ausnahmezustand
von N.N

„Ausnahmezustand“ von Navid Kermani ist eines der besten Bücher, die ich dieses Jahr gelesen habe. Es ist eine Sammlung außergewöhnlicher Reiseberichte aus den Jahren 2005 bis 2012. Kermani, ein habilitierter Orientalist, der auch als Schriftsteller und freier Journalist arbeitet, hat Gegenden bereist, aus denen man nur selten hört. Wenn, dann erfährt man über sie etwas in den Abendnachrichten, doch meist nichts Gutes.

 

So war er 2007 im von Indien besetzten Teil Kaschmirs unterwegs. Seit sich die Briten als Kolonialmacht 1947 zurückgezogen haben, ist Kaschmir aufgeteilt zwischen China, Pakistan, und Indien. Vor allem in diesem Teil gibt es immer wieder bewaffnete Konflikte, zwischen den größtenteils muslimischen Kaschmiri und den hinduistisch geprägten indischen Besatzern.   

Kermani erkundet das Land und die Leute. Er trifft „ganz normale“ Menschen von dessen Alltag er berichtet, ebenso wie Politiker und Mitglieder von Widerstandsgruppen, mit denen er sich über den seit Jahrzehnten schwelenden Konflikt unterhält. Er erfährt

Erstaunliches, denn im Grunde sind alle Parteien des Krieges müde. Nur weiß niemand so genau wie das gehen soll, mit dem Frieden.  

 

Nach Afgahnistan reiste Kermani zweimal. Im Jahr 2006 und 2011 ein weiteres Mal. Er war dort zusammen mit Nato-Truppen unterwegs, aus Sicherheitsgründen, und erzählt von den Schwierigkeiten, die es macht, das von jahrzehntelangem Krieg gezeichnete Land wieder aufzubauen. Wie langsam Fortschritte zu erreichen sind, wie sehr sich die Bevölkerung aber nach Frieden und einem ruhigen und sicheren Alltag sehnt.

 

In Pakistan trifft er Sufis und erkundet deren religiöses und kulturelles Leben. Er besucht ihre Schreine und Konzerte und bringt uns so eine sehr fremde, aber unglaublich faszinierende Welt ein ganzes Stück näher. 

Kermani nimmt in Indien teil am „Marsch der Landlosen“ nach Delhi, mit dem 25 000 Menschen die absolut nichts besitzen, ihre Regierung auf ihre Lage aufmerksam machen möchten: bitterste Armut in einem Land dessen Wirtschaft boomt. Er besucht Palästina und bekommt die ganze Arroganz der Israelis am Grenzübergang von Gaza zu spüren. Auch nach Lampedusa reist er, redet mit den Einwohnern der Insel ebenso wie mit den Flüchtlingen, die dort, nach einer traumatischen Flucht, unter schwierigsten Bedingungen in Lagern eingesperrt sind.

 

Was Kermanis Buch besonders macht, ist die Art und Weise, wie er von seinen Erlebnissen berichtet: ohne zu werten oder zu deuten. Er beobachtet genau und hört zu, was die Menschen sagen, mit denen er sich unterhält. Sätze, die er zitiert, Gesten, die er beschreibt sagen mehr aus, als alles Faktenwissen je erklären könnte. Kermani erläutert die Welt nicht, er erfährt sie; und sieht sich eher als  ein Sprachrohr, einen Mittler zwischen den Welten, denn als Analyst. Dem Leser gibt er so das Gefühl, dabei zu sein und lässt ihm viel Raum, sich aus dem was erfährt ein eigenes Bild zusammen zu setzen und sich eine eigene Meinung zu bilden.

„Ausnahmezustand“ ist ein wunderbares Buch, auch sprachlich. Obwohl Kermani journalistisch arbeitet, sind seine Texte kleine literarische Perlen. Sie lesen sich fast wie Erzählungen. Also: unbedingt lesen!

 

 

 

 

 

Kurz gesagt, er nimmt uns mit in fremde Welten und lässt uns teilhaben an allem was er sieht und erfährt.

Dabei versucht er nicht selbst diese Welt zu erklären, sondern lässt die Menschen, die Betroffenen zu Wort kommen.

Kermani ist ein Buch gelungen, dass uns ein wenig mehr von der Welt verstehen lässt in der wir leben. Es ist ein zutiefst menschliches Buch, das Leid und Elend nicht ausspart, aber auch nicht ausweidet. Geschrieben sind seine Reportagen in einer klaren, ruhigen Prosa, die sich angenehmer lesen lässt als so mancher Roman.