Rezension

Fantasievoll mit einer sympathischen Heldin

Northern Lights: His Dark Materials 1 - Philip Pullman

Northern Lights: His Dark Materials 1
von Philip Pullman

Bewertet mit 4 Sternen

Inhalt

Das Mädchen Lyra lebt als Waisenkind im Jordan College in Oxford. Eines Tages beobachtet sie unerlaubt ihren Onkel, den geheimnisvollen Lord Asriel, dabei, wie er den Professoren im College von dubiosen wissenschaftlichen Experimenten erzählt und Geld für eine weitere Expedition im Norden sammelt.
Als plötzlich im ganzen Land Kinder verschwinden, auch Lyras bester Freund Roger, und Lyra von der faszinierenden Mrs. Coulter aufgenommenen wird und auf eine Expedition Richtung Norden mitgenommen werden soll, nimmt das Abenteuer seinen Lauf.

Hinweis: Da ich das Buch auf Englisch gelesen habe, fehlen mir für einige Fantasiebegriffe die deutschen Wörter, weshalb ich stattdessen die englischen verwenden oder die Wörter selbst übersetzen werde.

Meinung

"Northern Lights", in Deutschland besser bekannt unter dem Titel "The Golden Compass", ist der erste von drei Teilen der "His Dark Marterials"-Reihe von Philip Pullman. Eigentlich stellen alle Bände ein einziges, zusammenhängendes Buch da, wurden jedoch meist als drei separate Romane verkaufte. Meiner Meinung nach merkt man jedoch deutlich, dass sie eigentlich zusammengehören, und es lohnt sich, sich alle drei auf einmal oder gleich einen Sammelband zu kaufen.

Pullman wirft einen sofort mitten in die Geschichte hinein, indem man Lyra dabei ertappt, wie sie sich verbotenerweise in ein den Erwachsenen vorbehaltenes Zimmer schleicht. Was sie dort zu hören bekommt, ist der Auftakt zu einem großen Abenteuer.
Dieser rasante Einstieg sorgt einerseits dafür, dass die Geschichte von Anfang an spannend ist. Man ist direkt mitten dabei und fiebert mit Lyra mit. Gleichzeitig sind viele neue Informationen aber auch erst einmal verwirrend, denn man muss sich erst in der Welt von Northern Lights zurechtfinden und bekommt erst nach und nach mit, wie sich diese von unserer unterscheidet.
Dieser Prozess ist zum Teil verwirrend, zum Beispiel wenn von Anfang an von den Dæmons gesprochen wird, ohne dass zunächst erklärt wird, was genau sie sind und warum jeder Mensch einen hat.
Zum Teil macht der Prozess aber auch Spaß, da es immer wieder Neues zu entdecken gibt: die gepanzerten Bären, die Hexen, die Eigenheiten von Menschen und ihren Dæmons, die geografischen und namentlichen Unterschiede von Lyras im Vergleich zu unserer Welt.

Mit Lyra hat Pullman eine sympathische, wenn auch meinem Empfinden nach zu sehr auf Kinder zugeschnittene Protagonistin gewählt. Lyra fällt schon zu Beginn des Buches dadurch auf, dass sie sich nicht gerne an Regeln hält und den Vorstellungen von Erwachsenen beugt, sondern sehr abenteuerlustig ist und ihren eigenen Kopf hat. Sie scheut sich auch nicht vor Streitereien und Kämpfen mit anderen Kindern, ist aber sehr loyal gegenüber ihren Freund*innen und setzt sich für andere ein, wenn es drauf ankommt. Letzteres kommt im Buch auch immer wieder zur Sprache, zum Beispiel dann, wenn es darum geht ihren besten Freund Roger zu retten.
Damit weist Lyra die typischen Charaktezüge eines Kinderbuchcharakters auf, mit dem man Kindern zeigen will, dass auch junge Menschen zu Held*innen werden und - überspitzt gesagt - die Welt retten können. Allerdings fehlt es ihr meiner Meinung nach an anderen Feinheiten, vor allem menschlichen Fehlern.

Abgesehen von Lyra spielen zwar eine ganze Menge andere Figuren eine Rolle, werden aber alle nicht ausführlich genug vorgestellt, dass sie tiefgründig charakterisiert werden könnten. Somit bleiben sie eher blass als die Antagonistin, der freundliche Helfer oder der tapfere Krieger. Ich hoffe, dass dieser Makel im zweiten Teil noch ein wenig ausgebessert wird.

Die Idee hinter "Northern Lights" ist spannend und noch nicht von Anfang an komplett zu durchschauen, was das Buch besonders reizvoll macht. Ähnlich wie Lyra stolpert man beim Lesen von ihren persönlichen Themen und Problemen (Sie möchte ihren Onkel nach Norden begleiten und später ihren Freund Roger befreien.) hin zu viel größeren Konflikten, mit denen man zunächst gar nicht gerechnet hätte und die große Schlachten und Krieg vorausahnen lassen. Dadurch wird man auch behutsam und verständlich in die zum Teil komplexen Ideen und Hintergründe des Buches eingeführt und nach und nach von Pullmans faszinierenden Ideen eingenommen.

Während man der Handlung selbst relativ leicht folgen kann, da Lyra selbst nur eine Etappe nach der anderen denkt und keine ausgeklügelten Pläne für ihre Rettungsmission entwirft, stellen sich die Verhältnisse und Einstellungen der Figuren einander gegenüber als immer komplexer raus, denn die Verschwörung, die Lyra unbeabsichtigt aufdeckt, ist politisch verworren. Wer hat vor wem Angst, muss sich von wem etwas sagen lassen, hat mit wem einen Deal geschlossen? - Alles das wird zum Teil erst nach und nach offensichtlich und es ist spannend zu rätseln, ob eine Figur wirklich loyal oder nur für eine Zeit gekauft ist. Gleichzeitig wirkt die Geschichte damit noch nicht zu kompliziert und die Erklärungen nicht zu trocken, sodass ich das Buch weiterhin auch für Kinder empfehlen könnte.

Die Auflösung und damit die Erklärung für viele der Geschehnisse und Andeutungen kam für mich relativ überraschend, zeigt aber letztendlich auch, dass "Northern Lights" im Grunde ein einziger Auftakt zu einem viel größeren Konflikt ist, der erst am Ende des Buches in Gänze offenbart wird. Das Ende ist daher etwas fies, macht aber definitiv Lust auf den zweiten Teil "The Subtle Knife".

Obwohl die Idee hinter dem Buch und die Verbindung einzelner Themen zu einem großen Konflikt gelungen sind, mangelte es für meinen Geschmack des Öfteren an durchgehender Spannung. Es gibt immer mal wieder rasante Verfolgungen oder informative Gespräche, doch die Handlung dümpelt auch regelmäßig wieder für ein paar Seiten herum, als hätte Pullman versucht, mehrere kleine Spannungsbögen hintereinander anstelle eines großen zu setzen.

Sprachlich ist anzumerken, dass große Teile des Buches in einem speziellen Slang geschrieben sind, unter anderem da Lyra viel Zeit mit den Gyptians verbringt und ihre spezielle Art zu sprechen adaptiert. Dies beinhaltet unter anderem das für mich bisher noch unverständliche Setzen eines "a" vor jedem Verb ("He's a-coming") und andere grammatikalische Besonderheiten, die nicht dem standardmäßigen British English entsprechen. Dessen sollte man sich bewusst sein, besonders wenn man mit der englischen Grammatiken nicht komplett sicher ist.

Fazit

Der Auftakt zu Pullmans "His Dark Marterials" wirft einen sofort mitten hinein in eine bunte, komplexe Geschichte, die einen eine spannende Welt nach und nach entdecken lässt und Lust auf mehr macht. Die Heldin war mir zwar sympathisch, jedoch zu perfekt und zu sehr auf Kinder gemünzt, und es fehlte mir an einem durchgehenden Spannungsbogen.