Rezension

Faszinierend

Buntschatten und Fledermäuse - Axel Brauns

Buntschatten und Fledermäuse
von Axel Brauns

Bewertet mit 5 Sternen

Axel Brauns bekleidet einen seltenen Rang. Er ist Autist und lässt uns an seiner Welt teilhaben - was per se fast nicht möglich scheint, denn Autisten zeichnet unter anderem aus, dass sie schwer darüber kommunizieren können, was in ihnen vorgeht. Doch Axel belehrt uns und seine Umgebung eines Besseren. In einem Buch voll Wortwunderlichkeiten über eine Welt, die in unserer liegt und ebenso gut Lichtjahre entfernt sein könnte.

Seine Erzählung beginnt schon mit zwei Jahren, denn da "verloren die Menschen um ihn herum ihr Aussehen. Ihre Augen lösten sich in Luft auf. Nebel verschleierte ihre Gesichter. Die Stimmen verdunsteten. Meine Lippen ermüdeten. Kranke Wörter schleppten sich über meine Zunge. Die Silben verdorrten. Bald stammelte ich nur noch."

Das Buch ist im Ganzen eine Aneinanderreihung von Erinnerungssplittern und in sich zusammenhängenden Szenen. Von seiner Kindheit bis zum Studium begleiten wir Axel auf seiner Reise durch ein ihm fremd bleibendes Universum.
Buntschatten und Fledermäuse sind die Menschen, wie er sie bis heute noch teilweise sieht. Verschwommene Gesichter, deren Gefühlsregungen und Mimik er selbst mit aller Mühe nicht erfassen kann. Buntschatten sind freundlich gesinnt, Fledermäuse nicht, mit ihrem Umhergeflatter machen sie es ihm schwer, sie zu begreifen.

Der Begriff "autistisch" fällt erst gegen Ende zum ersten Mal, bis dahin hat er noch keinen Bezug zu der Welt, in der Axel lebt. Doch seine Eltern sind von Anfang an bemüht, ihm ein normales Leben zu ermöglichen - ein Leben, das er trotzdem immer von einer anderen Warte sieht.

"Das Leben im Autismus ist eine miserable Vorbereitung auf das Leben in einer Welt ohne Autismus.", schreibt er. Sein Werk erzählt genau diesen täglichen Kampf mit den vielen, verwirrenden Besonderheiten unserer Gegenwart. So vieles, das uns normal erscheint, ist für Axel ein großes Rätsel, das oftmals nie gelöst wird. Gerade das macht Axel schwer zu schaffen. Nur in Ansätzen versteht er so mächtige Gefühle wie Liebe oder Trauer. Doch ganz begreift er sie nicht und das macht die Biographie auch irgendwie hoffnungsvoll-traurig.

Das Buch ist nicht ganz leicht zu lesen, doch zieht es einen schnell in seinen Bann aus wundervollen Wortkreationen, die zumindest bei mir auf fruchtbaren Boden gefallen sind. Denn manche Begriffe eröffnen sich für Axel schlichtweg nicht, und so erfindet er neue dafür, zieht Vergleiche.

Was er nicht versteht, ist einfach "Geräusch". Weil er Baiser so sehr liebt, wird "beseeartig" sein Wort für alles Schöne. Zwei-, drei- und vierfach gut sind besondere Erlebnisse. Er gerät in Verzückung als er feststellt, dass dieselbe Straße zwei Straßenschilder mit unterschiedlichen Schreibweisen hat. Axel liebt den Klang schöner Wörter, die geordnete Struktur der Zahlen. Der erste Witz, der er sich merken kann, handelt deshalb natürlich von Ziffern. Er hat ein feines Gespür für interessante Geräusche, wundervolle Haptiken. Eigentlich entführt uns Axel nicht in eine andere Welt, sondern zeigt uns auch, wie viel wir in unserer eigenen verpassen.

Ein Buch, das anrührt, nachdenklich macht und beim Lesen definitiv verändert.